Kirchensteuer Faktencheck

„Die Wahrheit wird euch befreien“ Joh 8,32.

Während des Pfarrei-Entwicklungs-Prozesses (PEP) wurden häufig die Finanzen des Bistums Essen diskutiert. Denn daraus ergibt sich, wie sich die Pfarreien verhalten müssen. Die Kontroverse ist: sinken die Einnahmen aus der Kirchen­steuer? Oder stagnieren sie bestenfalls? Oder steigen sie vielleicht am Ende doch? Und wenn sie steigen, wird die Zunahme durch die Preissteigerung wieder aufgezehrt? Oder bleibt unter dem Strich doch etwas übrig?

Diese Frage war für den PEP sehr bedeutsam und ist es immer noch. Die vom Bistum behauptete sinkende Tendenz wird zum Anlass genommen, seine Zuweisungen an die Pfarreien zu deckeln und ab 2020 sogar sinken zu lassen.

Lesen Sie hier, wie die wirklichen Tatsachen aussehen.

Kirchensteuer

Das Bistum Essen veröffentlicht seit 2011 seine offiziellen Jahresabschlüsse. Dies geschah nicht ganz freiwillig, sondern es ging ihm massiver Druck aus der Presse voran, der durch das finanzielle Gebahren des Bistums Limburg unter Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst verursacht wurde. Im Jahresabschluss werden auch die Einnahmen aus der Kirchensteuer ausgewiesen. Zu beachten ist, dass deren Brutto-Einnahmen in Essen immer viel höher sind, als das Bistum wirklich beanspruchen kann, denn die Unternehmen mit Sitz im Bistum führen auch die Kirchensteuern für die Beschäftigten ab, welche nicht im Bistum wohnen, und auf diese hat das Bistum keinen Anspruch. Es sind daher nur die Netto-Zahlen interessant.

Tatsächlicher Verlauf

Quelle: Jahresabschlüsse des Bistums Essen

Kurzer Überblick

Am 01.01.2002 wurde der Euro eingeführt. Im Jahr 2002 waren die Einnahmen aus der Kirchen­steuer mit 155 Mio auf dem sehr hohem Niveau der Vorjahre. Sie gingen jedoch bis 2005 extrem steil auf den absoluten Tiefstand von 102 Mio zurück. Für das Bistum Essen war das eine trauma­tische Erfahrung. Um die Zahlungsfähigkeit zu sichern, war man erstmals in seiner Geschichte gezwungen, Bankdarlehen aufzunehmen. Der Einbruch war jedoch nicht auf Essen allein beschränkt. Er betraf alle Bistümer gleichermaßen, einfach weil die deutsche Regierung eine mehrstufige Reform der Einkommenssteuertarife durchgeführt hatte und sie selbst von dem Steuerrückgang auch betroffen war.

Seit 2006 setzte jedoch wieder eine Erholung ein. Von 120 Mio ging es zunächst aufwärts auf 166 Mio Euro in 2010. In 2011 gab es noch einen bisher letzten Einbruch auf 143 Mio und dann ging es bis 2014 wieder aufwärts, wobei bis 2016 auf hohem Niveau eine Stabilisierung bei 169 Mio Euro eintrat, die bis 2018 175 Mio Euro erreichte.

Im Jahr 2019 kam es zu einem außerordentlichen Sprung nach oben auf 216 Mio Euro. Der Grund ist ein Sondereffekt aus dem Clearingverfahren mit den anderen Bistümern. Der war dann im Jahr darauf wieder weg und die Schätzung für 2021 liegt leicht unter dem Vorjahresniveau. Allerdings waren 2020 und 2021 nun wirkliche Krisenjahre (Corona) und viele Wirtschaftsunternehmen mussten erheblich Federn lassen. Das Bistum Essen hat diese Zeit offenbar wesentlich besser überstanden als große Teile der Wirtschaft.

Interpretation

Wir wollen aus dieser Grafik zwei nahezu völlig gegenteilige Aussagen ableiten und benötigen dazu auch die Preissteigerungsraten, welche wir uns von Finanzen-Rechner.net holen können.

Die erste Aussage über den gesamten dargestellten Zeitraum lautet:

  • Von 2002 bis 2016 nahmen die Einnahmen um 14 Mio Euro von 155 Mio auf 169 Mio Euro zu. Das sind etwa 9%. In derselben Zeit betrug der Preisanstieg jedoch 22,3%, so dass inflationsbereinigt die Kirchensteuer von 2002 bis 2016 sogar gefallen ist.

Es ist jedoch die Frage, ob für eine aktuelle Trendaussage ein Zeitraum von 15 Jahren wirklich angemessen ist oder hier nicht die letzten 10 Jahre für derartige Betrachtungen vorzuziehen sind, wie es im privaten Wirtschaftsleben eigentlich auch eher gemacht wird. Dann aber kehrt sich interessanterweise das Bild fast völlig in sein Gegenteil um.

  • Von 2006 bis 2016 nahmen die Einnahmen um 49 Mio Euro von 120 Mio auf 169 Mio zu. Das sind über 40%. In derselben Zeit betrug der Preisanstieg 15,6%, so dass selbst inflationsbereinigt die Kirchensteuer von 2006 bis 2016 deutlich gestiegen ist.

Merke

Es bleibt uns selbst überlassen, welchen Zeitraum wir zum Vergleich betrachten. Wenn wir die 10 Jahre von 2006 bis 2016 ansehen, so gab es bei Preissteigerungen von 15,6% eine Zunahme der Kirchensteuer um 40% von 120 Mio auf 169 Mio Euro. Unabhängig von dem gewählten Zeitraum ist jedoch eine Erscheinung von sinkender Kirchensteuer wohl nicht auszumachen.

Wo bleibt die Kirchensteuer?

Abgesehen davon, dass das Bistum die Kirchensteuer verwendet, um seine Pfarreien zu finanzieren, sein eigenes Personal zu bezahlen und seine sämtlichen Einrichtungen zu unterhalten, konnte es fast durchweg seine Bilanzposition ganz deutlich verbessern.

Es kann sein Eigenkapital von 111 Mio um 80 Mio auf 191 Mio Euro in 2016 steigern, in 2018 sogar auf 209 Mio Euro. Danach fällt es (im Krisenjahr) 2020 wieder auf das Niveau von 2016, um dann jedoch zwei Jahre lang deutlich zuzunehmen und in 2022 die stolze Summe von 290,5 Mio € zu erreichen.

Quelle: Jahresabschlüsse des Bistums Essen

Es ist also durchaus nicht der Fall, dass – wie stellenweise im PEP behauptet wurde – das Bistum insgesamt von „schwindenden Rücklagen“ (was meint man eigentlich damit?) betroffen ist. 

Finanzierung der Pfarreien

Es lohnt noch ein kritischer Blick auf die vierte jährliche Säule. Sie stellt die Aufwände für die Seelsorge in den Pfarreien dar. Sind die Pfarreien nicht der eigentliche Grund für die Existenz des Bistums überhaupt? Nun, diese Ausgaben bleiben über den gesamten Zeitraum fast konstant. Im Klartext: die Pfarreien partizipieren nicht von der positiven Entwicklung des Bistums. Das Bistum hält seine Pfarreien mit Absicht „kurz“.

Wie man sich arm rechnet

In der Diskussion wird gerne mit Zahlen argumentiert, die „inflationsbereinigt“ sind. Dabei wendet man die Bereinigung allerdings oft nur auf die Einnahme­seite an und rechnet sich somit künstlich „arm“. Das ist nicht in Ordnung, wenn man nicht auch die Ausgabenseite bereinigt.

Beispiel: Sie haben in 2015 Einnahmen und Ausgaben von 1 Million. Sie haben somit keinen Fehlbetrag. In den nächsten fünf Jahren erwarten Sie, dass die Einnahmen auf 1,2 Millionen anwachsen. Die Preissteigerung beträgt voraussichtlich 20%. Wenn Sie dann sagen, die Einnahmen blieben ja inflationsbereinigt bei 1 Millionen, ihre Ausgaben stiegen aber um 20%, so dass Sie einen Fehlbetrag von 200.000 € zu decken hätten, so stimmt das nicht: Sie haben auch in fünf Jahren keinen Fehlbetrag, denn Ihre Ausgaben sind 1,2 Millionen.

Sonst konstruiert man große Deckungslücken, die bei korrekter Betrachtung in Wahrheit gar nicht da sind.

Weitere Fragen

Sie haben weitere Fragen oder eine andere Interpretation der Zahlen? Dann schreiben Sie bitte einen Kommentar.

QUELLEN:

Erwin Gatz, Herder Korrespondenz 11/2000: Wie es zur Kirchensteuer kam.

Evangelische Kirche in Hessen und Nassau 2023: Geschichte der Kirchensteuer.

Bistum Eichstätt: Entstehung und Entwicklung der Kirchensteuer.

Mona Linke, 2022: Ein segensreiches Investment? Wohin die Kirchensteuer wirklich fließt.

Erzbistum Köln: Eine kurze Geschichte der Kirchensteuer.

2 Antworten auf „Kirchensteuer Faktencheck“

  1. Hier fehlt noch ein ganz wichtiger Aspekt.
    Der Anteil der Kirchengemeinden an den Kirchensteuereinnahmen wurde bistumsseitig massiv zurückgefahren.

    Siehe meine 10 Thesen zur Bistumsreform, die ich heute per Mail geschickt habe!

  2. Sehr geehrter Herr Kauker,
    vielen Dank für diesen ausführlichen Faktencheck rund um das Thema Kirchensteuern im Bistum Essen. Sie haben mit viel Akribie wichtige Punkte zu diesem Themenfeld zusammengetragen. Mir ist bei der Lektüre dieses Faktenchecks aufgefallen, dass ihr Zahlenmaterial im Jahr 2016 endet. Gerne möchte ich an dieser Stelle ergänzen, dass die Zahlen für das Jahr 2017 seit November letzten Jahres öffentlich auf der Webseite https://finanzen.bistum-essen.de einsehbar sind und auch im dort veröffentlichten Finanzbericht ausgewiesen sind.

    Dieser Finanzbericht enthält auch erstmals ein ausführlicher Perspektivteil. (Im Internet unter: https://bistum.ruhr/perspektivefinanzen2019)

    In diesem wird deutlich, dass sich die katholische Kirche, mit Blick auf die demografischen Entwicklungen, vor allem auf den Renteneintritt der „Babyboomer“-Generation und den damit verbundenen Steuerausfällen einstellen muss. Eine sehr aussagekräftige Grafik dazu finden sie hier: https://bistum.ruhr/rentenbabyboomer

    Natürlich wird diese Generation nicht gleichzeitig in Rente gehen. Schwerpunktmäßig wird dies zwischen Anfang der 2020er und Anfang der 2030er Jahre der Fall sein. Doch aufgrund ihrer großen Anzahl werden sie in der künftigen Kirchensteuerentwicklung eine Lücke hinterlassen, die weder durch die nachrückenden Katholikengenerationen noch durch die Einführung der nachgelagerten Besteuerung von Renteneinkünften geschlossen werden kann.

    Neben der zahlenmäßigen Entwicklung der kirchensteuerpflichtigen Katholiken insgesamt ist für die Kirchensteuer auch die Höhe ihres jeweiligen Einkommens von Bedeutung, da sich hieran die individuelle Zahlung bemisst. Neben der in den vergangenen Jahren vor allem aufgrund der guten Konjunktur gestiegenen Erwerbstätigenquote ist dies die wesentliche Erklärung für die bislang insgesamt relativ stabile Entwicklung der Kirchensteuereinnahmen: Die individuellen Einkommens- und damit Kirchensteuerzuwächse kompensieren derzeit noch den kontinuierlichen Rückgang der Mitgliederzahl im Bistum Essen.

    Verstärkt wird dieser Effekt durch das seit Jahren hohe Niveau an Kirchenaustritten, insbesondere von jungen, in das Berufsleben eintretenden Katholiken im Alter zwischen 20 und 35 Jahren. Eine Grafik die dies deutlich macht finden Sie hier: https://bistum.ruhr/austrittsqouten

    nsgesamt kann man festhalten, dass die Erträge mittelfristig voraussichtlich spürbar zurückgehen und die Ausgaben ohne entsprechende Gegenmaßnahmen kontinuierlich steigen werden: Die aktuell noch relativ gute finanzielle Situation darf uns nicht dazu verleiten, die Augen vor den immensen künftigen Herausforderungen zu verschließen. Hier geht es vor allem um die demografischen, religionskulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen und die daraus folgenden Konsequenzen für die kirchliche Arbeit.

    Bei Rückfragen stehe ich Ihnen sehr gerne zur Verfügung.

    Mit freundlichen Grüßen
    Ulrich Lota

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