„Würdet ihr beharrlich bitten –
Abba würde euch geben.
Würdet ihr beharrlich suchen –
Abba würde euch finden lassen.
Würdet ihr beharrlich anklopfen –
Abba würde euch öffnen.“
Mt 7,7. Rückübersetzung aus dem Aramäischen von Günther Schwarz.
Zitiert nach Franz Alt (2016): Die 100 wichtigsten Worte Jesu.
Die Lutherbibel 2017 formuliert so: Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Man kann jetzt nicht gerade sagen, dass das FALSCH ist. Günther Schwarz aber sagt, so habe es Jesus nicht gesagt.
Worte Jesu
Dr. phil. Günther Schwarz (1928-2009) war evangelischer Pfarrer. Sein Lebenswerk war die Suche nach den ursprünglichen Worten Jesu. Ihm war klar, dass Jesus in Galiläa die dortige Umgangssprache, das westliche Aramäisch, gesprochen haben musste. Das war kein Dialekt in einem hinteren Winkel von Palästina, sondern eine von vier anerkannten Verwaltungs sprachen im ehemals persischen Reich, dessen hellenistische Nachfolger sich nun der Römer erwehren mussten. Sie wurde auf Pergament und Papyrus geschrieben, nicht in Tafeln geritzt, was leider zur Folge hat, dass es wenig Funde gibt. Diese Sprache gibt es noch heute und kommt vor allem in Syrien vor.
Aramäisch und Hebräisch waren verwandt, wie nahe, wird von modernen Forschern verschieden beschrieben; manche sagen, wie Plattdeutsch und Hochdeutsch, andere wie Mittelhochdeutsch (Luther) und Neuhochdeutsch, andere wie Niederländisch und Deutsch. Hebräisch dagegen war zu Jesu Zeiten seit der Rückkehr aus dem Babylonischen Exil überwiegend zur Kultsprache geworden und wurde in der Synagoge und im Tempel von den „Schriftgelehrten“ auf jeden Fall vorgelesen, in amtlichen Dokumenten auch noch lange geschrieben, überlebte aber im Wesentlichen nur durch seine sehr aktive rabbinische Tradition mittels seiner heiligen Schriften. Viele Schriftrollen vom Toten Meer zeigen dies.
Jesus konnte zweifelsfrei auch Hebräisch (vor-) lesen und vermutlich darin mit seinen Gegnern auch diskutieren. Ob er auch Griechisch, die damalige Sprache „von Welt“, sprach, ist nicht belegt, aber auch weniger wichtig. Lateinisch, die Sprache der römischen Eroberer, wird er wohl nicht beherrscht haben. Seine Anhänger waren einfache, fromme Juden, verstanden also ihre heiligen Schriften, Mose und die Propheten und die Psalmen, wohl nach Gehör, aber es ist zu bezweifeln, ob sie diese auch lesen konnten, von schreiben ganz zu schweigen. Eine gewisse Zweisprachigkeit wird man Jesus und seiner Umgebung also nicht absprechen können. Es ist leider nicht überliefert, ob sie zusammen auch Witze gemacht oder Lieder gesungen haben, und wenn ja, in welcher Sprache.
Jesus der Poet
Warum das wichtig ist? – Jesus selbst hat kein schriftliches Werk hinterlassen. Wenn er jedoch bei seinen Jüngern und den Menschen aus dem Volke eine Botschaft hinterlassen wollte, musste er das in einer Weise tun, welche diese auch verstehen und behalten konnten. Dazu, so Günther Schwarz, hat er seine wesentlichen Lehren mit allergrößter Wahrscheinlichkeit in rhythmischer Versform in ihrer gemeinsamen Volkssprache formuliert. Das heißt: Jesus war Poet. Und was für einer!
Man muss sich bewusst machen, dass selbst viele Jahrzehnte nach seinem Tod seine Lehren immer noch präsent waren, bevor sie aufgeschrieben wurden. Das wäre völlig unmöglich gewesen, hätte er sie in dem Stil formuliert, wie wir sie heute in den Evangelien zu finden gewohnt sind. Auch die weltberühmten griechischen Epen, die Ilias und die Odyssee, sind gereimte Werke. So konnten sie von den Menschen ihrer Zeit besser im Gedächtnis behalten werden, als Lesen und Schreiben noch nicht selbstverständlich waren.
Theologen sollten Aramäisch lernen
Schwarz kritisiert, dass Aramäisch von modernen Theologen ignoriert wird. Hier zum Beispiel die Anforderungen für das Studium der Theologie an der Uni Heidelberg. Zur Begründung sagten sie, dass niemand die Sprache lernen könne, weil es zu wenige Schriftzeugnisse gäbe. Das aber, so Schwarz, gilt schon längst nicht mehr und verweist in seinem Werk auf eine ausreichende Liste von Quellen und wissenschaftlichen Werken.
Statt dessen, so Schwarz, geben Theologen den griechisch geschriebenen Evangelien eine viel zu große Bedeutung. Diese aber enthalten Fehler! Schwarz hat durch Textanalysen viele von ihnen gefunden und zur Diskussion gestellt. Unter den Fehlern leiden auch natürlich die deutschen Übersetzungen. Die Fachwelt schweigt bisher weitgehend zu seinen Funden. Warum? – Sie kann nicht Aramäisch und darum nicht konkret Kontra geben. Das müsste und sollte nicht sein, so Schwarz. Eigentlich müsste man in intensivem Dialog sein. Besser: hätte sein sollen, denn Schwarz ist inzwischen verstorben, ohne dass die Chance genutzt wurde.
Warum wurden Jesu Lehren überhaupt in Griechisch festgehalten und nicht direkt in Aramäisch? Dann hätte man sie doch nicht übersetzen müssen.
Schwarz meint, dass die christlichen Urgemeinden, die sich vor allem in vorwiegend griechisch sprechenden Städten herausbildeten, sich von ihren orthodox bleibenden jüdischen Verwandten abgrenzen mussten, weil das jüdische Rabbinat begann, die neue „Sekte“ aktiv auszugrenzen und ihre Mitwirkung im jüdischen Leben und in der Synagoge unmöglich machte.
Die Autoren der Schriften, welche sich später zu den Evangelien verdichteten, mussten aber die mündlichen Berichte ihrer Gewährsleute aus dem Aramäischen übersetzen, das sie teilweise schlecht bis gar nicht selbst beherrschten. Oder sie beherrschten es, aber das Griechische nur eingeschränkt. Dafür lassen sich laut Schwarz Belege finden. Außerdem konnte ein Übersetzer der Antike keine leistungsfähigen Wörterbücher benutzen, wie wir sie heute gewohnt sind, bestenfalls Wortlisten aus relativ wenigen typischen Wörtern, wie sie vielleicht ein Reisender oder Händler jener Tage gebrauchen konnte. Auf jeden Fall wurden Mehrdeutigkeiten und viele Bedeutungsunterschiede schlichtweg ausgeblendet. Vermutlich.
Weiter waren die Schriftrollen der Antike sehr empfindlich und sie fielen bei häufigem Gebrauch förmlich auseinander. Daher bestand der Zwang, sie in kurzen Abständen immer wieder neu abzuschreiben. Dabei gingen schon einmal Fragmente verloren oder wurden aus dem zerbrochenen Original ganz einfach in falscher Reihenfolge zusammengesetzt. Mancher Schreiber ergänzte unleserlich gewordene Passagen einfach aus seiner eigenen Erinnerung oder fügte passende Stellen ein, die er für richtig hielt. Denn der Text war ja noch nicht, wie Jahrhunderte später erst, kanonisiert und für unveränderlich erklärt worden.
Evangelien enthalten Fehler
So kommt es, laut Schwarz, dass die uns heute bekannten Evangelien Fehler besitzen.
Um diese zu entdecken, bemüht Schwarz sich darum, alles aus dem Griechischen zurück ins Aramäische zu übersetzen in der Hoffnung, dann aufgrund von stilistischen und Wortschatzbetrachtungen „bessere“ Formulierungen der Worte Jesu zu finden, vor allem solche, die Rhythmus und Reimstruktur besitzen.
Dies ist Schwarz in vielen einzelnen Beispielen ganz überzeugend gelungen. Es sei hierfür auf die unten genannten Quellen verwiesen.
Viele Kritiker von Schwarz beziehen sich gar nicht auf einzelne Arbeiten von Schwarz, sondern argumentieren eher so: „Ein Deutscher übersetzt einen fehlerhaften griechischen Text ins Aramäische, der dadurch auf wundersame Weise fehlerfrei und dann in der deutschen Sprache wiedergegeben wird.“ Das sei mit dem gesunden Menschenverstand nicht zu vereinbaren. Recht haben sie – ist es auch nicht. Schwarz beginnt daher mit umfangreichen Vorarbeiten mittels einer textkritischen Ausgabe. Viele wissen gar nicht, was das ist. Mit einer Familienbibel hat das nichts zu tun. Neben dem von der Mehrheit der Herausgeber akzeptierten Text enthält der sog. „Apparat“ einer solchen Ausgabe viele weitere, zum Teil stark voneinander abweichende Lesarten. Diese sichtet Schwarz sorgfältig. Weiter zieht er altsyrische Übersetzungen von verschollenen griechischen Fassungen hinzu. So formen sich langsam die aramäischen Alternativen. Kritiker sagen dann, man kenne das Aramäische der Jesus-Zeit gar nicht. Doch: kennt man. Als Jerusalem im Jahre 70 von den Römern zerstört wurde, wich die jüdische Talmudschule nach Galiläa aus und begann kurz danach in Aramäisch zu publizieren. Diese Textzeugen wurden vom jüdischen Kulturkreis erhalten und somit kennen wir Jesu Sprache tatsächlich. Jeder, der die Ergebnisse von Schwarz ablehnt, sollte also genau begründen können, warum er dies tut.
Besonders bibeltreue Menschen bestehen darauf, dass niemand an Gottes Wort etwas ändern darf, und dass Gott selbst dafür Sorge trage, dass sein Wort getreu zu uns gelange. Sie werfen Schwarz vor, dass er in Abrede stelle, dass die Bibel das „inspirierte Wort Gottes“ sei, und ziehen den Schluss daraus, dass man deshalb mit ihm nicht diskutieren könne. Schwarz würde sie dann nach ihrem Verständnis fragen, was denn das „Wort Gottes“ sei, und dann antworten, dass er „im Prinzip“ der Bibel das Bemühen um Gottes Wort durchaus nicht abspricht, aber nicht „diesen Übersetzungen“, die von ihm im Übrigen ganz im Detail auseinander genommen werden.
Aber dass die kanonischen Evangelien jahrhundertelang aus dem Griechischen tatsächlich falsch übersetzt wurden, und davon selbst moderne Übersetzungen noch immer nicht ganz frei sind, ist ein Gedanke, an den wir uns wohl gewöhnen müssen. Er wurde ungefähr zur selben Zeit wie Schwarz von dem bekannten jüdischen Gelehrten Pinchas Lapide in dessen Buch Ist die Bibel richtig übersetzt? vertreten. Lapide, der sich sehr für jüdisch-christlichen Dialog eingesetzt hat, arbeitet mit derselben Methode wie Schwarz, allerdings mehr mit Rückübersetzungen ins Hebräische, was wegen dessen naher Verwandtschaft zum Aramäischen wohl meistens zu sehr ähnlichen Ergebnissen führen dürfte. Lapide hat das Werk von Schwarz wohl nicht gekannt.
Altsyrische Quellen
Schwarz benutzt für seine Arbeit neben seiner sehr guten Kenntnis des Aramäischen auch intensiv altsyrische Quellen. In den ersten nachchristlichen Jahrhunderten, etwa 150 – 400, entstanden im Raum Antiochia (wo überhaupt die Bezeichnung „Christen“ geprägt wurde) und Edessa fünf oder sechs verschiedene syrische Übersetzungen der Bibel, die im Nahen Osten weite Verbreitung fanden. Die bekannteste davon ist die Peschitta, welche das alte und das neue Testament enthält und noch heute verwendet wird. Die „Kirchen des Ostens“ sehen deren neutestamentlichen Bestandteile als das „ursprüngliche und reine Neue Testament“ an. Nun – das muss nichts bedeuten. Aber selbst wenn man eingesteht, dass die altsyrischen Texte auch zu einem Teil auf dem Weg über das Griechische entstanden sind, so wird man vermuten müssen, dass die Übersetzer wegen der direkten Nähe des Altsyrischen zum Aramäischen die meisten „Irrtümer“ des Griechischen sofort wieder ausgeräumt haben.
Keine leichte Kost
Das Werk von Günther Schwarz ist keine leichte Kost. In der Tat ist sein Aufruf „Lernt Aramäisch“ an die Theologen noch am leichtesten zu verstehen. Aber er bezieht auch Positionen, wohin man ihm manchmal nur schwer folgen kann.
Drei Beispiele: Geistwesen wie Engel und der Satan. Gut, Jesus und seine Zeit mögen in der Tradition des alten Naturglaubens gar kein Problem damit gehabt haben, aber wie erklären wir sie modernen Menschen? Weiter: in dem Bemühen, etwas Licht auf die „Auferstehung“ Jesu zu werfen, weist Schwarz einerseits darauf hin, dass es das Wort im Aramäischen nicht gibt. Andererseits schreibt er, Jesus habe, wie wir auch, neben seinem materiellen Körper einen geistigen gehabt, der in einer geistigen Welt gelebt hat, bevor er in diese Welt kam. Und drittens: mit diesem geistigen Körper sei Jesus bereits dem Abraham im Hain von Mamre erschienen, als Abraham drei geheimnisvolle Männer zu Besuch hatte, Genesis 18, 1-16.
Bemerkenswert, so Schwarz, war immer die Souveränität, mit der Jesus von allen diesen Dingen sprach. Aber – fragen wir – muss man Jesus nicht auch vollkommen als ein Kind seiner eigenen Zeit ansehen? Hat er die Dinge nicht auch zum größten Teil so gesehen, wie er es gar nicht vermeiden konnte, weil alle um ihn herum so groß geworden sind? Diese Möglichkeit lässt Schwarz anscheinend gar nicht zu. Für ihn ist alles, was Jesus sagt, das „letzte Wort“. Dabei ist Schwarz persönlich durchaus offen und räumt freimütig ein, dass ihm überall Fehler unterlaufen sein könnten.
Sehr zu begrüßen ist, dass aus Jesu Worten, laut Schwarz, immer wieder das Bemühen sichtbar wird, den Frauen ihren gleichberechtigten Stand in der Welt zu geben.
Und auch, dass Schwarz deutlich macht, dass der Apostel Judas völlig neu bewertet werden müsste. Mit Judas wurde die gesamte jüdische Nation von der Christenwelt für „schuldig“ am Tod Jesu gesprochen und den Verfolgungen bis hinein in unsere Zeit Tür und Tor geöffnet. Man muss jedoch vorsichtig sein und darf den griechischen Evangelien nicht die alleinige Schuld an dieser katastrophalen Zuspitzung geben. Denn die frühen Kirchenväter, Kirchenlehrer und Prediger haben mit ihren eigenen Ausschmückungen und Deutungen selbst viel dazu beigetragen, zum Beispiel auch Johannes Chrysostomos (ca. 390) . Die griechischen Texte benutzen ein Verb, das neben „verraten“ auch die Bedeutungen „übergeben, weitergeben“ hat, was fast der von Schwarz genannten aramäischen Bedeutung entspricht. Diese bis ins Mittelalter und danach anhaltende Verhärtung hat schließlich dazu geführt, dass auch Martin Luther sich ihr anschließt, was von uns Heutigen nur sehr bedauert werden kann. Dabei spielen neben dem Verrat auch andere Gründe eine Rolle wie Neid oder irgendwelche diffusen Ängste. Während man über die anderen jedoch reden und sie abmildern kann, geht das beim „Verrat“ einfach nicht. Der scheint objektiv und unantastbar in einem absolut glaubwürdigen Buch dargestellt. Das Problem ist sehr vielschichtig und wahrhaft tragisch.
Berechtigte Zweifel meldet Schwarz auch bei der Lehre der (katholischen) Kirche an, dass Jesus in Person seinem Jünger Simon, dem Fischer, dem Sohn (Bar) des Jona (Barjona) den Beinamen „Fels“ (aram. Kepha, griech. Petrus) gab, auf dem er seine „Kirche“ bauen wollte, und ihm die „Schlüssel des Himmelreiches“ geben würde. Die Evangelien vermeiden die griechische Namenskombination Simon Petrus auffällig und erst Paulus spricht häufig von Kephas. Schwarz sieht diese Stelle aus Mt 16, 18-19 in direktem Zusammenhang mit der Verklärung in Mt 17,5. Er sagt, dass es Jesus selbst ist, von dem dieses alles gesagt wird und nicht Simon. Einen Vorrang des Bischofs von Rom könne man jedenfalls nicht daraus ableiten. Damit entfiele auch das wahrscheinlich größte Hindernis auf dem Weg zur Ökumene.
Schwarz weist auch deutlich darauf hin, dass Maria (aramäisch: Mirjam) mit Sicherheit nicht als „Jungfrau“ bezeichnet worden ist. Dieses Wort gab es im Aramäischen nicht. Sie war eine junge Frau. Jesus hatte laut Mk 6,3 Schwestern und vier Brüder, von denen einer (Jakobus) sogar älter war als Jesus und später die Leitung der Jerusalemer Urgemeinde ausübte, als Simon seine Mission in Kleinasien aufnahm, von der er nach Rom ging und nicht mehr zurück kam.
Jesus kennt auch keine Dreifaltigkeit, bezeichnet sich nie selbst als Gott und will auch nicht als der Messias im politischen Sinne gelten, so wie die Juden sich ihn zu seiner Zeit erhofften. Wenn sein Verhör vor Pilatus glaubhaft wiedergegeben ist, dann sieht er sich als solcher allenfalls in einem geistigen Sinne.
Kritiker von Schwarz, die das alles lesen, zucken dann gleich zusammen, weil man doch nicht so ohne Weiteres gegen Traditionen und Dogmen verstoßen kann oder gegen das Credo. Ja, wieso denn eigentlich nicht? Wer seine Lutherbibel von 1912 und selbst LU 1964 und LU 1984 beim Wort nimmt, wird Schwarz „liberaltheologische Irrlehren“ entgegen schleudern und schlichtweg Häresie vorwerfen und ihm jeglichen „Anteil am Heil“ (1 Joh 5,12) absprechen. Seine Wort- und Sacherklärungen seien doch wohl „glaubenszersetzend“. Schwarz hat solche Diskussionen durchgemacht. Schwarz dagegen fragt unverblümt nach der Allmacht Gottes. Heißt das, dass Gott auch an allem „Schuld“ ist? Etwa daran, dass täglich zahllose Kinder verhungern? – Die Verkündigung, so Schwarz, muss dringend ganz und gar überarbeitet werden. Weder die Jugend glaubt noch daran, noch so mancher Seelsorger selbst. Die Verkündigung muss klar, wahr, glaubwürdig, vernünftig und lückenlos sein. Warum ist sie das nicht? – fragt Schwarz.
Schwarz verdient Beachtung
Trotz aller Positionen, bei denen man gerne mit Günther Schwarz streiten möchte, zum Beispiel der Wiedergeburtslehre (Reinkarnation), verdient er mehr fachliche Beachtung als er bisher gefunden hat. Er kam ohne Abitur nach Berufsausbildung und Beruf über den zweiten Bildungsweg zu einem Theologiestudium, nachdem er autodidaktisch das Griechische gelernt hatte und von seinem Pfarrer empfohlen wurde. Im Alter von 40 Jahren trat er 1968 seine erste von drei Vikar- und Pfarrstellen in der Evangelischen Landeskirche Hannover an. Er begann, weiter zu forschen und zu schreiben. Dabei war sein Landesbischof Eduard Lohse (Neutestamentler in Kiel und Göttingen) ein erster Gönner. Lohse war auch lange EKD-Vorsitzender und in seine Amtszeit fiel 1984 auch die Revision der Lutherbibel, leider ohne Ergebnisse von Schwarz.
Schwarz als Gutachter
Günther Schwarz ist im Falle von Therese Neumann (1898-1962) aus Konnersreuth in der Oberpfalz im Bistum Regensburg auch als Gutachter tätig geworden. Er hat ihre aramäischen Zitate, die sie in ihren Visionen gebrauchte, als authentisch bestätigt. In dem 2009 abgeschlossenen und 2011 (posthum) veröffentlichten Buch Schauungen der Therese Neumann aus Konnersreuth sind seine Ergebnisse zu finden. Zuvor war schon 1994 in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Selig- und Heiligsprechnungen im Bistum Regensburg „Das Zeichen von Konnersreuth“ als Buch erschienen. Schwarz zeigt sich in beiden beeindruckt von den vielen inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen Therese Neumann und ihm. Vieles von dem, was Therese Neumann in der Wiedergabe von Schwarz sagt, ist in der Tat erschütternd, zum Beispiel die detailreiche Beschreibung der Kreuzigung.
Das Feld von Mystik und Visionen ist sehr weit und auch für erfahrene Theologen sehr mit Tücken und Fallen versehen. Umso mutiger von Schwarz, dass er sich hinein traut. Die Süddeutsche Zeitung schrieb 2011, dass noch völlig offen sei, ob sie eine „Heilige oder Schwindlerin“ sei. In 2005 hat der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller auf eine Eingabe von 45.000 Menschen hin das Verfahren der Seligsprechung eingeleitet, das der Konnersreuther Ring unterstützt. Es läuft noch. Kritiker wie der 2003 verstorbene Kirchenhistoriker Josef Hanauer hielten sämtliche Konnersreuther Phänomene für Schwindel. Hier seine eigene Website, insbesondere: Der Schwindel von Konnersreuth.
Franz Alt macht Schwarz bekannt
Günther Schwarz wäre wahrscheinlich schon in der Versenkung verschwunden, wenn ihn nicht Franz Alt aufgrund seiner schon lange andauernden Beschäftigung mit Jesus neu entdeckt hätte. Alt versuchte, die Bergpredigt zur Basis von politischem Handeln zu machen und aus Jesu Lehre eine Ethik für unsere Welt abzuleiten.
Franz Alt (geb. 1938) war Fernsehjournalist und ist Buchautor. 20 Jahre moderierte er für den Südwestfunk das Politikmagazin „Report“. Elf Jahre leitete er die Zukunftsredaktion des Senders. Seine Bücher erreichen eine Auflage von über zwei Millionen. Jesus hat er mehrere Bücher gewidmet. Die in den Quellen unten genannten Interviews und Rezensionen zeigen, mit welchem Engagement Alt sich hinter Schwarz stellt. Dabei trifft er bei seinen Lesern auf die ganze Bandbreite von ätzender Ablehnung bis zu begeisterter Zustimmung. Diese haben natürlich auch oft direkten Bezug zu Schwarz. Man findet sie, wenn man alle der über 50 Rezensionen liest, die der Online Händler Amazon gesammelt hat. Von „Vorsicht vor diesem Irrlehrer“ bis „Tief berührt“ ist alles dabei.
Thomas Söding kritisiert Alt und übersieht Schwarz
Ob das reicht, das Interesse an Günther Schwarz lebendig halten, bleibt zu hoffen. Vor Alt gab es lediglich 2004 eine freundliche Rezension von einem anderen Nicht-Theologen Rudolf Passian in der kleinen Schweizer Zeitschrift „Wegbegleiter“.
Die deutsche Zeitschrift Publik Forum nahm Schwarz in eine Liste von neuen Büchern über Jesus auf, widmete ihm aber keinen Artikel.
Auf der Plattform bibelwissenschaft.de erscheint 2010 ein ausführlicher Beitrag über Judas Iskariot von Martin Meiser. Er verweist zwar im Text zweimal auf Günther Schwarz, Jesus und Judas, aber nicht, um die Kernaussagen von Schwarz zu diskutieren.
In 2016 schreibt der Psychologe Franz Hofmann-Wiegele einen engagierten Beitrag unter dem Titel: Kauft euch den Himmel! Lk 16,9 Ein Mafia-Evangelium? Auch er wurde durch Franz Alt angeregt.
Der Arzt Dr. Marcus Franz schrieb 2018 in seinem Blog zum Thema „Die Denkfehler der heutigen Christen“ und in den Kommentaren dazu bringt Hans Reuter Hinweise auf Günther Schwarz ein.
Ebenfalls in 2018 meldet sich auf der Catholic News Agency (CNA) der Jesuit und emeritierte Professor für Philosophie an der Philosophischen Hochschule Jakarta, Indonesien, Dr. Franz Magnis-Suseno SJ mit einer Buchbesprechung von Alts Buch. Wer fälscht hier eigentlich? geht auch mit Schwarz ins Gericht. Man hat jedoch eher den Eindruck, dass er keine von Schwarzens Arbeiten gelesen hat.
Die vorläufig letzte Kritik an Alt und Schwarz kommt 2019 von Dr. Marco Ritter, einem Medizinhistoriker, der sich der Theologie zugewandt hat. In Aramäische Jesus-Worte – Die Irrlehren des Günther Schwarz bringt er einige philologische Überlegungen an, geht aber nicht wirklich im Detail auf Beispiele von Schwarz ein. Immerhin akzeptiert er Jesu Poesie. Er attestiert Schwarz esoterisch-gnostische Arbeit, die nur seine Weltanschauung stützt.
Aber sonst: Null Komma Null.
Schwarz selbst würde sich natürlich dringend wünschen, dass endlich auch die längst überfällige Reaktion der Fachwelt auf sein Werk einsetzt. Doch: Hier ist eine! In 2018 schreibt der Bochumer Neutestamentler Prof. Thomas Söding in der Zeitschrift „Welt und Umwelt der Bibel“ (Le Monde de la Bible) beim Kath. Bibelwerk Stuttgart unter dem Titel „Die Muttersprache des Messias“ einen Artikel. Söding forscht zur Hermeneutik, Exegese und Christologie und – nennt Günther Schwarz nicht einmal beim Namen! Franz Alt kommt dagegen vor, als „populärer Vertreter“ der Meinung, dass die sechste Vater-Unser-Bitte anders lauten sollte. Söding wirft das Wort „Verschwörungstheorien“ ein und das Motto: Guter Jesus – böse Kirche. Immerhin gibt er der aramäischen Muttersprache Jesu breiten Raum und ist sogar bereit, sine ira et studio (ohne Zorn und Eifer) die philologischen Fragen zu prüfen und dann, so oder so, die Auslegung bestimmen zu lassen.
Junge Theologen gesucht
Eine Änderung der Rezeption von Günter Schwarz kann vermutlich nur von Seiten junger Theologen kommen. Sein Tod vor gerade einmal einem Jahrzehnt und sein provokantes Werk, gleichermaßen für die Evangelische wie die Katholische Kirche, ja sogar auch für die Freikirchen, sind wohl noch zu frisch. Schwarz war für sich selbst, wie er in einem Brief geschrieben hat, auch immer ein „unbequemer Partner“ und wusste genau, dass er polarisierte. Er hat sich mit seiner eigenen Landeskirche heftige Fehden geliefert und Superintendenten und Pfarrerskollegen zur Verzweiflung gebracht. Fast alles, was er irgendwann geschrieben oder gesagt hat, schien irgendwie „heiß“ gewesen zu sein. Wer hat den Mut, sich daran die „Finger zu verbrennen“?
Lesen Sie den zweiten Teil: Von Luther bis heute
Weitere Quellen
… finden Sie hier.
Ganz herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Kauker, für diesen materialreichen sowie sachlich und wohlwollend urteilenden Artikel über Günther Schwarz und sein Werk.
LG, GL