In einem Artikel über Herz Jesu in der WAZ-Mülheim vom 07.01.2023 macht Ulrich Lota, Sprecher des Bistums Essen, die Aussage, dass das Bistum im Jahr 2020 „einen Verlust in Höhe von 3,4 Millionen € ausgewiesen hat.“
Das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht ganz wahr.
Denn wir werden weiter unten sehen, dass das Bistum ein Ordentliches Geschäftsergebnis, auch Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit genannt, in Höhe von 3,1 Millionen Euro erzielt hat, positiv, wohlgemerkt, kein Verlust. Die beiden Zahlen sehen zum Verwechseln ähnlich aus. Das ist zwar kein großes Plus, aber in der Coronazeit durchaus achtbar.
Zu dieser Kontroverse gibt es, wie so oft, eine kurze Antwort und eine ausführliche Betrachtung.
Kurze Antwort
Sie können sich selbst den Finanzbericht 2020 des Bistums von dessen Homepage herunterladen oder sich aber kurzerhand vertrauensvoll meiner Darstellung anschließen. Wir finden dann in der Bilanz auf der Seite 13 das Eigenkapital in Höhe von 187,9 Mio Euro. Verglichen mit dem Vorjahr ist es von 191,3 Mio Euro um genau die besagten 3,4 Mio Euro zurück gegangen.
Aha – das ist die Zahl, die der Bistumssprecher meint und mit „Verlust“ bezeichnet. Es ist aber nur die halbe Wahrheit! Denn zwei Zeilen tiefer finden wir die Rückstellungen in Höhe von 72,7 Mio Euro, welche verglichen mit dem Vorjahr von 66,2 Mio Euro um 6,5 Mio Euro gestiegen sind. Weil aber die Verbindlichkeiten genau gleich geblieben sind und auch die beiden restlichen Bilanzpositionen sich nur um 0,1 Mio Euro verändert haben, muss das Bistum in Summe einen Gewinn von 3,1 Mio Euro erzielt haben.
Ausführliche Betrachtung
Der tiefere Grund für diese gegensätzliche Sicht der Dinge ist darin zu suchen, dass der Begriff Verlust umgangssprachlich viel zu unscharf ist, wie auch sein Gegenteil Gewinn. Dasselbe gilt für das Paar der Begriffe Fehlbetrag und Überschuss. Und Defizit ist auch nicht viel besser. Am besten ist es, man sagt ganz genau, was denn da negativ oder positiv ist.
Wäre das Bistum eine private Kapitalgesellschaft, etwa eine GmbH mit einem bestimmten unveränderlichen Stammkapital oder eine AG mit einem bestimmten unveränderlichen Eigenkapital, so würde es anders bilanzieren und die Veränderung des Eigenkapitals durch die Position Bilanzergebnis ausweisen, was im positiven Fall Bilanzgewinn, im negativen Fall auch Bilanzverlust genannt wird. Dann, aber auch nur dann, hätte Ulrich Lota durchaus Recht und das Bistum hätte einen Bilanzverlust von 3,4 Mio Euro ausgewiesen.
Analyse des Finanzberichts
Sie finden den Finanzbericht 2020 des Bistums unter dem vorigen Link. Er erwähnt an drei Stellen auf den Seiten 8, 14 und 16 einen Verlust oder einen Fehlbetrag, und die offizielle Pressemitteilung vom 6.12.2021 führt das Wort Defizit im Titel: Corona sorgt im Bistum Essen für Defizit von 3,4 Millionen Euro. Diese wurde dann von allen anderen „katholischen Medien“ wie domradio.de oder Neues Ruhrwort aufgegriffen und weiter verbreitet. Hier auch die Meldung von Kirche+Leben. Wobei die meisten von ihnen auch nur den Text von der Nachrichtenagentur kna übernehmen. Keines der Medien liest in der Regel den ganzen Jahresbericht selbst oder analysiert ihn womöglich (keine Zeit!).
Da die Presseabteilung – und nicht die Finanzabteilung – den Jahresbericht schreibt, wie es im Impressum mitgeteilt wird, ist es kein Wunder, dass Ulrich Lota seine eigenen Worte zitiert.
Aber ist denn wirklich Corona, welche das Defizit verursacht? Weit davon entfernt! In den auf Seite 16 gegebenen Erläuterungen erfahren wir von einer neuen Rückstellung für Zahlungen zur Anerkennung des Leids von Missbrauchsopfern (6,5 Mio. Euro). Somit kommt die Ergebnisrechnung auf Seite 17 zu einem
ORDENTLICHES ERGEBNIS/JAHRESERGEBNIS –3.387 Tsd. Euro
Da ist er also, unser Verlust, Fehlbetrag oder Defizit. Dieser Wert hat in privaten Kapitalgesellschaften die genaue Bezeichnung Bilanzverlust und wird auf der Passivseite der Bilanz offen ausgewiesen, wo er zur Minderung des gesamten Eigenkapitals führt.
Aber trotzdem reibt man sich verwundert die Augen. Seit Jahren schon folgt ein Gutachten auf das andere und erst jetzt entschließt sich das Bistum, Entschädigungszahlungen oder Anerkennungsleistungen, wie es in der beschönigenden „Kirchensprache“ heißt, an die Opfer ins Auge zu fassen? Auf jeden Fall hat nicht „Corona“ den Bilanzverlust verursacht, sondern der Missbrauch.
Die Zahl, welche sich vor der Erhöhung von Rückstellungen ergibt, hat gemeinhin den Namen Ergebnis der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit. Dafür gibt es leider kein kurzes umgangssprachliches Wort. Gewöhnliches Geschäftsergebnis oder Ordentliches Geschäftsergebnis käme ihr noch am nächsten. Man kann auch sagen Betriebs- plus Finanzergebnis. All das klingt natürlich nicht „schön“, was allein schon gut erklärt, dass so ungenaue Begriffe wie Verlust, Fehlbetrag und Defizit munter neben- und durcheinander gebraucht werden.
Dass diese Zahl, das Ordentliche Geschäftsergebnis, für Bilanzleser wichtiger ist als der Bilanzverlust, ersieht man schon daraus, dass sie (weitgehend) unanfällig gegen Manipulationen ist. Denn: hätte das Bistum den Missbrauchsopfern einfach mal eine weitere Million „gegönnt“, wäre der „Fehlbetrag“ ja um eine weitere Million gestiegen, nicht wahr? Umgekehrt natürlich auch: eine niedrigere Rückstellung hätte den „Fehlbetrag“ verringert. Bei all dem muss man sich vor Augen halten: noch hat kein einziger Euro die Konten des Bistums verlassen!
Zweifel
Handelt das Bistum korrekt, die obige Zahl als das ORDENTLICHE ERGEBNIS zu bezeichnen?
Das kann bestritten werden. Denn zum ordentlichen Ergebnis sollen nur ordentliche Aufwendungen ihren Beitrag leisten. Das Bistum rechnet die oben genannten Rückstellungen für Missbrauchsopfer in der Tat zu den „Sonstigen ordentlichen Aufwendungen“. Das aber würde bedeuten, dass der Bereich Missbrauch, seine Aufdeckung und Verfolgung und Entschädigungen in seiner Folge zum „ordentlichen Geschäft“ eines Bistums gehören. Man kann jedoch mit großer Berechtigung vertreten, dass das mit Sicherheit nicht der Fall ist, also zum außerordentlichen Bereich zu rechnen ist. Denn wäre es anders, sollte der Bischof ernsthaft an Rücktritt denken.
Das Bistum sollte also korrekterweise die neue Rückstellung zum außerordentlichen Aufwand rechnen, wodurch sich das ORDENTLICHE ERGEBNIS um 6,5 Mio Euro auf den Wert von 3,113 Tsd. Euro erhöht, also rund 3,1 Mio Euro.
Genau das ist die Zahl, die wir oben in der kurzen Betrachtung auch schon gefunden hatten. Diese Tatsache wird vom Finanzbericht verschleiert und insofern hat der Bistumssprecher nicht die „ganze Wahrheit“ gesagt.
Nun, Herr Kauker ist wohl Anhänger des „Wirtschaftsfachmanns“ Habeck.
Der hat uns ja Kunde zum Begriff „Insolvenz“ gegeben.
Produktions- und Verkaufswegfall hätten damit nichts zu tun.