Heute erschien in der Mülheimer WAZ eine beinahe ganzseitiger Artikel über das Ende der Herz Jesu Kirche. Die Pfarrei hatte zwei Tage zuvor eine Pressekonferenz abgehalten, um ihre Sicht der Dinge vorzutragen. Sie können direkt den vorigen Link anklicken und gleich den Artikel weiterlesen und später in Ruhe zu den hier folgenden kritischen Betrachtungen zurückkehren.
Denn Kritik gibt es eine ganze Menge…
Wenn Sie meinen, nach der Pressekonferenz und nach einem so langen Artikel müssten doch jetzt wirklich alle wesentlichen Fragen ins Gespräch gekommen sein, dann liegen Sie leider falsch. Dann kennen Sie kirchliche Informationspolitik nicht, welche immer nur soviel preisgibt, wie im Moment nützlich ist.
Kirche kann nicht Transparenz
Die Pfarrei hätte Monate, wenn nicht die gesamten Corona-Jahre, Zeit gehabt, ihre gesamten Zahlen auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen. Und zwar detailliert auf ihre fünf immer so hochgehaltenen „pastoralen Standorte„. Alle Zahlen, die ständig von größtem Interesse sind. Hier eine Auswahl:
Anzahl der Kirchenmitglieder, Anzahl der Gottesdienstbesucher - wobei man die standardmäßigen zwei Zähltermine im Jahr gerne auf ständige wöchentliche Zählung hätte erweitern können. Spendenaufkommen - sowohl in eigenen als auch in überregionalen Kollekten . Anzahl der Anmeldungen zur Ersten Hl. Kommunion, ferner Taufen, Firmungen, Beerdigungen und Hochzeiten.
Eine Reihe von anderen Zahlen würde man schnell ergänzen können. Ganz wichtig wären auch:
Ergebnisse sämtlicher Wartungsarbeiten, sachverständige Gutachten über den Bauzustand und demnächst zu erwartende größere Ausgaben.
Ein Wunschtraum wäre natürlich auch:
die jährliche Bilanz mit Gewinn- und Verlustrechnung.
Falschinformation
Der Artikel beginnt nach der einleitenden Einladung zur Raue und dem offensichtlich gut überlegten Wort des Pfarrers „Das hört sich nach einer Beerdigung an“ mit der kapitalen Falschinformation „Das Gemeindeleben geht weiter„, welche die PGR-Vorsitzende und der Kirchenvorstand formulieren. Klingt doch beruhigend – nicht wahr? Ist wohl auch so gemeint: den gläubigen Menschen erst mal wieder einen Halt geben.
Die Wahrheit ist eine ganz andere: der gesamte pastorale Standort ist am Ende. Wo und wie soll denn da das Gemeindeleben noch „weiter-“ gehen? Die gesamte bisher noch existierende Gemeinde Herz Jesu wird es nicht mehr geben! Das geht 4.000 Gläubige an. Die genaue Zahl ist unklar – siehe Transparenz. Denn es wird nicht nur die Kirche Herz Jesu „außer Dienst“ gestellt – wie es immer so beschönigend klingt – sondern seit Ende September (nicht erst seit Dezember, wie der Artikel sagt) findet sich die gesamte „Liegenschaft Herz Jesu“ auf dem im Artikel genannten Immobilienportal des Bistums. Das Bietverfahren läuft bis Ende März, endet also schon in sechs Wochen.
Bereits am 7. Februar haben wir ausführlich darüber berichtet: Immobilienangebot Herz Jesu.
Musterbeispiel kirchlicher Desinformation
Gemäß der üblichen kirchlichen Arbeitsteilung „schwebt“ der Pfarrer immer mehr oder weniger über allen Dingen, spricht von so menschlichen Seiten wie Abschiedsschmerz, von Lindern und von würdigem Rahmen. Und lässt ab und zu auch Nebel aufsteigen, wie seine Bemerkung, dass man in den 1990er Jahren das Geld wohl besser nicht in eine neue Orgel investiert hätte, sondern lieber für die Instandhaltung der Kirche.
Da es dazu ohnehin keine Daten gibt – siehe Transparenz oben – hätte der Pfarrer diese Bemerkung besser weggelassen. Wen interessieren heute die 90er Jahre? Das war weit vor dem fusionsbegeisterten Bischof Genn, welcher die relativ wohlhabende Herz Jesu Gemeinde in die Fusion mit den vier ärmeren Nachbarn zur neuen Großpfarrei zwang.
Wie? – Sie glauben mir nicht, dass Herz Jesu wohlhabend war? Schauen Sie sich die Liegenschaften der pastoralen Standorte an. Wer sich etwa die Klosterkirche anschaut, sieht immer das große Klostergelände; das aber gehört der Stadt Mülheim. Weitere Diskussionen sind eh müssig, weil – siehe Transparenz – immer sowieso alles geheim ist, auch damals schon.
Datenmüll
Dass die Kirche erst 2030 aufgegeben werden sollte, leitet im Artikel eine Serie von Desinformationen ein. Die Kirchenaustritte sind es, die rückläufigen Kirchensteuereinnahmen.
Eine weitere Falschinformation: sie entwickeln sich seit fünf Jahren nach oben:

Weiter: notwendige Instandsetzung der Kirche. Wer will solche globalen Aussagen wissen, wenn man sie „ganz trocken“ auch im Detail belegen könnte – siehe Transparenz? Oder auch auch nicht belegen kann, weil sie nämlich gar nicht Herz Jesu spezifisch sind.
Überrollt war man von der Entwicklung und daraus folgt für die PGR-Vorsitzende offenbar ganz „logisch“, dass „wir die Kirchenschließung vorziehen (mussten)“.
Das gesamte Team bedauert dann anscheinend unisono: „Niemand von uns schließt leichten Herzens diese Kirche. Aber wir müssen die auf dem Tisch liegenden Fakten anerkennen und …“.
Hier hält der gutwilligste Leser überrascht inne: Fakten? Auf dem Tisch liegen? – Ja, in Gottes Namen, welche Fakten denn? Dieser armselige Datenmüll, den man da herausgekramt hat?
Daten, die niemand wissen will
Der nächste Absatz zeigt uns, wie man sich im Team die Arbeit aufteilt. Jetzt kommt die Expertin für die „Zahlen“ zu Wort, die – so die unterschwellige Botschaft – mehr noch als der Pfarrer alles ja ganz genau wissen muss. Die Verwaltungsleiterin berichtet von elf Mitarbeitenden (wieviele volle Stellen teilen sich diese?) für die seit 2006 zusammengefügten Gemeinden. Dann nennt sie sogar den Rückgang der Gemeindemitglieder seit 2006, weiß aber nicht, ihn zu detaillieren und auf die fünf Standorte, die sich auf drei Gemeinden verteilen, zu beziehen. Im Moment liegen wir bei 14.829 Mitgliedern. Schön – die Kirchenaustritte der Gesamtpfarrei für diesen Zeitraum kennt sie natürlich auch. Erst mal sind wir keinen Schritt weiter.
Nun wendet sich der Artikel dem Geld zu. Das Bistum hat seine Schlüsselzuweisungen von 2019 bis 2021 von 430.000 um 67.000 auf 363.000 Euro reduziert. Das bedeutet nach der bekannten Formel und etwas Rechenarbeit, dass 1.654 Menschen die Pfarrei in diesen beiden Jahren verlassen hätten. Kann das denn stimmen, wenn der Weggang von 2006 bis heute bei 4.396 lag? Gibt es denn keine aktuelleren Zahlen? Auch die jährlichen Spendeneinnahmen sind von 82.000 um 5.000 Euro auf 78.000 Euro gesunken. Dass dieser massvolle Rückgang durchaus achtbar ist, kommt ihr nicht in den Sinn – wir hatten schließlich Lockdowns!
Man bemerkt, dass die Vorlage dieser Zahlen, für die man sich nicht einmal besonders interessiert, weil ohne besonderen Bezug zu Herz Jesu, bereits „konfus“ genannt werden muss.
Und ein drittes Mal wird der Zeitraum gewechselt. Wir betrachten jetzt 2021 bis heute. Die Energiekosten. Am Anfang lagen sie noch bei 132.000 im Jahr, vielsagendes Schweigen beim aktuellen Jahr. Dass jedoch das Bistum nach seinem Rekordjahresüberschuss vielleicht zu einer Beihilfe fähig wäre, wie der Staat, scheint keiner Erwähnung wert. Dann doch lieber Herz Jesu schnell unter den Hammer. Viele Gläubige fragen sich durchaus schon lange, wie teuer denn der Betrieb ihrer Kirche an einem Sonntag im Winter wohl ist, und hätten durchaus den Willen zu Zusatzspenden oder kreativen Lösungen. Aber weder die Pfarrei noch die Gemeinde bittet gerne um etwas, wenn es auch eine Anordnung gibt. Überhaupt war der überraschend milde Verlauf des Winters am 13. August nicht absehbar – aber hätte man nicht auch Flexibilität mit Plan A, B, C planen können?
Überalterte Bevölkerung
Ach ja. Das auch noch. Das darf der Pfarrer dann wieder „unterstreichen“. Was meint er denn bitte damit? Dass unsere Lebenserwartung steigt? Das ist doch gut – oder? Nein, was er wirklich meint, ist dass die Mitte der Alterspyramide „weg“ ist, abgeschmolzen, weil die Jungen diese Kirche nicht mehr so wollen. Ich könnte mir vorstellen, dass sich unsere fünf pastoralen Orte durchaus unterscheiden, was die Altersstruktur ihrer Mitglieder angeht, aber solche Demographiezahlen hätte unser Pfarreiteam erst einmal mitbringen müssen, oder besser noch – Transparenz – schon lange veröffentlichen können.
Nachnutzung von Herz Jesu
Es soll Projektvorschläge von acht Düsseldorfer Architekturstudenten geben. Sie sollen auch der „interessierten Öffentlichkeit“ präsentiert werden. Warum erfährt dieselbe Öffentlichkeit dies erst fast „eine Minute nach zwölf“? Ja, ich weiß – es ist wirksamer, wenn der Autor eines Konzepts dieses persönlich präsentiert, aber warum kann man vorab so gar nichts im Download bekommen?
Vorgeschichte und Geheimhaltung
Seit Oktober 2022, so tut der Artikel, sei die Schließung von Herz Jesu bekannt. Knapp daneben.
Der 24. September ist es, wie in diesem Beitrag berichtet wird. Darin auch das offizielle Mitteilungsschreiben der Pfarrei und die erste Presseberichterstattung. Von wann stammt denn genau der Beschluss? Nun der stammt vom 13. August.
Im April hatte die PEP Steuerungsgruppe der Pfarrei noch ganz offen angekündigt, dass es im Sommer wohl eine Klausurtagung der Gremien geben werde, aber keineswegs den „Ernst der Lage“ deutlicher umrissen oder dass man zu weiteren Vorschlägen einladen würde. Im nächsten Zwischenbericht vom Juni dann wieder nichts Neues. Im August gab es wohl „sicherheitshalber“ gar keinen Zwischenbericht, aber im September dann die Schließung. – Jedoch konnte man im Juni noch überrascht lesen, dass es wohl eine „Projektgruppe Herz Jesu“ gäbe. Vorher und nachher hat man nichts von ihr gehört. Keine Einladungen, Protokolle, Ergebnisse, nichts. Alles geheim.
Sechs Wochen musste der Beschluss geheim bleiben. Ein weiteres Negativbeispiel für vertrauensvolle Kommunikation. Man wollte die Festfreude am 27. August zum 130jährigen Jubiläum nicht beeinträchtigen. Danke. Dafür war das Erwachen dann vier Wochen später umso schmerzvoller.
Es ist schon klar, dass das Pfarreiteam sich nicht gerade danach drängt, diese Dinge offen zu legen, und folglich schweigt auch der Artikel dazu, der sich lieber noch mehrere Worte zur Zukunft gönnt. Die schenken wir uns.
Widerstand gegen die Schließung
Sensationell, dass der Artikel am Ende sehr genau und zutreffend davon berichtet, dass es auch Widerstände gibt. Wir hoffen, dass dadurch vielleicht einige Leser den Weg auf diese Webseiten finden.
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Einiges Kluge in dem Kommentar.
Vor allem die Kritik an der Geheimnistuerei.
Warum eigentlich debattiert de Deutsche Bundestag öffentlich?