Das Außenministertreffen zwischen Russland und der Ukraine wurde zu einer Farce, schreibt der Kommentator Patrick Diekmann auf dem Portal t-online. Sergej Lawrow nutzte die Bühne, um die Lügen von Wladimir Putin zu verbreiten. Der Krieg könnte nun noch schlimmer eskalieren.
Für das Leid der Menschen in den belagerten Städten macht der russische Außenminister Sergej Lawrow bei dem Treffen mit seinem ukrainischen Amtskollegen in der Türkei die Ukraine und den Westen verantwortlich, fährt Diekmann fort. Mit jedem Kriegstag werden die russischen Lügen zynischer. Dabei gab es vor den Verhandlungen der Außenminister zumindest leise Hoffnungen, dass sich die Ukraine und Russland eventuell annähern könnten. Der russische Präsident Wladimir Putin möchte diesen Krieg fortsetzen, Lawrow hatte kein annehmbares Angebot im Gepäck, hatte keine Verhandlungskompetenzen und es muss den russischen Vertretern klar gewesen sein, dass diese Gespräche in eine Sackgasse führen würden. Stattdessen nutzte Lawrow die internationale Bühne, um russische Desinformation über den Krieg zu verbreiten.
In der Türkei erlebte die Weltöffentlichkeit eine große russische Propagandashow, so Diekmann. Lawrows anschließende Pressekonferenz dauerte länger als das Treffen mit dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba. Die russische Seite war nicht an einer Einigung oder einem Waffenstillstand interessiert, sondern es war ein Angriff auf die Einigkeit im Westen. Lawrow nutzte das Forum, um der versammelten Weltpresse den Putinsprech der vergangenen Wochen zu präsentieren.
Erneut spricht der russische Außenminister nicht von einem Krieg, sondern von einer „Spezialoperation“ in der Ukraine. Er wirft der Ukraine vor, geplant zu haben, die russischstämmige Bevölkerung im Donbass und Russland anzugreifen – „schon in einem Monat“. Aber damit nicht genug: „In dem Kinderkrankenhaus, dass in Mariupol beschossen wurde, waren keine Kinder mehr, sondern ukrainische Nationalisten“, so Lawrow. Die Berichte über Verletzte seien von westlichen Medien konstruiert. Und ohnehin würde die Ukraine nur Widerstand leisten, weil sie vom Westen und den USA in die Irre geführt würden. Der russische Außenminister weiter: „Das Pentagon hat in der Ukraine Labore aufgebaut, um biologische Waffen zu entwickeln.“
Die russische Realitätsverweigerung an der gegenwärtigen Lage in der Ukraine geht weiter. Russland wird von der ukrainischen Bevölkerung nicht mit Blumen empfangen, Putin hat kaum Verbündete im Land. Die russische Armee hatte mit einem kurzen Krieg gerechnet, aber das war eine Fehlkalkulation. Der russische Feldzug kommt langsam voran, es fehlt an Verpflegung, Treibstoff und Soldaten, um die selbst gesteckten Kriegsziele zu erreichen. „Alles läuft nach Plan“, sagte Lawrow am Donnerstag. Aber das ist eine vorhersehbare Aussage, schon allein um die eigene Verhandlungsposition nicht zu schwächen, deutet Diekmann an.
Wer soll Russland überhaupt noch trauen? Diese Frage stellen sich momentan viele Entscheidungsträger im Westen und wahrscheinlich ein großer Teil der Ukrainer. Schließlich wollte Russland die Ukraine angeblich nicht angreifen, man wollte die Zivilbevölkerung angeblich nicht beschießen und die russische Administration nannte die Warnungen des US-Geheimdienstes CIA „hysterisch“. Die Ergebnisse sind bekannt und wenn die USA und Großbritannien vor einem russischen Giftgasangriff warnen, muss die Weltöffentlichkeit das durchaus ernst nehmen.
Russland hat bisher noch kein Kriegsziel erreicht und es ist wahrscheinlich, dass die russische Armee ihre Angriffe noch einmal verschärft.
Die Minimalziele sind:
Einnahme von Kiew.
Die Etablierung einer Landbrücke von der abtrünnigen russischen Provinz Transnistrien über die Krim bis zu den „Volksrepubliken“ im Donbass.
Kein Beitritt der Ukraine in Nato und Europäische Union.
Die ukrainische Regierung soll anerkennen, dass die Krim zu Russland gehört und dass die „Volksrepubliken“ autonom sind.
Davon ist Putin bei seiner Invasion noch weit entfernt. Die Großstädte sind noch fast alle in den Händen der ukrainischen Armee, eine Einnahme dürfte lange dauern und viele Opfer erfordern. Diese Verbrechen versucht der Kreml zu legitimieren, indem er der Ukraine die Schuld dafür gibt: „Ukrainische Nationalisten benutzen Zivilisten als Schutzschilde“, sagte Lawrow in Antalya. Das macht es Putin nun einfacher, die Städte noch heftiger zu beschießen und selbst beim Einsatz von Giftgas könnte er so den Unschuldigen spielen.
Es gibt kaum eine Möglichkeit für Putin, sich ohne Gesichtsverlust zurückzuziehen. Er hat keine Strategie, wie er die Ukraine beherrschen soll, denn die Bevölkerung geht eben nicht – wie von Russland erhofft – mit russischen Fahnen auf die Straße, sondern mit ukrainischen. Für Putin geht es aber nicht nur um die Stellung Russlands als Großmacht, sondern um den Ruf der russischen Armee. Und es gibt momentan nur zwei Merkmale, die Russland zur Großmacht machen: das Militär und die Rohstoffe, fasst Diekmann zusammen.
Die Sanktionen treffen die russische Wirtschaft hart. Die Sanktionen sieht er als illegale und feindliche Handlungen des Westens. „Wir werden nie wieder zulassen, dass Russland so abhängig vom Westen ist“, erklärte der Außenminister. „Sie müssen unsere Rohstoffe nicht kaufen, wir werden sie nicht dazu zwingen.“
Russland versucht den wirtschaftlichen Absturz als wichtigen Schritt zu einer größeren Eigenständigkeit zu verkaufen. Für die Rohstoffe habe man schon andere Abnehmer. Auch das stimmt nicht, denn zum Beispiel China könnte die russischen Exportausfälle nicht kompensieren, wenn sich Europa für ein Embargo gegen Moskau entscheiden sollte und keine Rohstoffe mehr aus Russland mehr importieren würde. Der Schaden für Putin wäre immens, trotzdem brennt er alle Brücken in Richtung Westen ab.
Erwartungen an die Ukraine
In Lawrows Aktenkoffer bei den Verhandlungen in der Türkei war dementsprechend nur eine große Portion Zynismus. Der Westen würde mit Waffenlieferungen an die Ukraine die Sicherheit in Europa gefährden, sagte ein Außenminister, dessen Präsident gerade Panzer auf Kiew vorrücken lässt. Das kann niemand auf der Welt ernst nehmen.
Warum ist Lawrow überhaupt nach Antalya gekommen? Das ist schwer zu beantworten, gibt Diekmann zu. Es ist wahrscheinlich, dass Russland der Türkei die Möglichkeit geben wollte, als Vermittler aufzutreten. Die türkische Regierung hat gute Beziehungen zu beiden Kriegsparteien und Putin hat international seit Beginn seines Angriffskrieges nicht mehr viele Freunde. Zudem hat Russland nun einen Gesprächskanal, auf den Putin zurückgreifen könnte, falls der Krieg für ihn doch zu teuer wird. Denn es ist auch unklar, wie lange die russische Bevölkerung die Propaganda des Kremls noch schluckt.
Dennoch wird der russische Bombenterror in der Ukraine weitergehen. Selbst der ukrainische Außenminister hat vor dem Treffen die Erwartungen gedämpft und gesagt, er gehe nicht davon aus, dass es nach den Gesprächen mit Lawrow zu einem Frieden komme. Die Ukraine möchte natürlich kein Staatsgebiet an Russland abgeben und nicht auf die eigene Souveränität verzichten. Trotzdem kam aus der Türkei und aus Teilen der Europäischen Union – zum Beispiel Italien – hinter vorgehaltener Hand die Erwartung, dass auch die ukrainische Regierung Zugeständnisse gegenüber Putin machen müsse.
Wie das Entgegenkommen aussehen sollte, erklärte allerdings niemand. In Kiew zeigte man sich nach den Gesprächen in Antalya enttäuscht, dass man sich nicht einmal auf Waffenruhen für die Evakuierung von Zivilisten einigen konnte. „Wir sind nicht vorangekommen, weil es andere Entscheidungsträger in Moskau gibt“, sagte Außenminister Kuleba nach dem Treffen. Lawrow hatte offenbar gar keine Befugnisse, etwas zu entscheiden. Auch das ist ein Zeichen dafür, dass es Putin mit den Verhandlungen noch nicht ernst meint, fasst Diekmann den ergebnislosen Tag zusammen.
QUELLE:
Patrick Diekmann, t-online. Putin brennt alle Brücken ab.
Phoenix vor Ort: Kuleba und Lawrow nach erstem Gespräch.
Phoenix vor Ort: Pressekonferenz in Moskau mit Sergei Lawrow.