Was ist katholisch?

Viele Gläubige befürchten, dass die gegenwärtigen Reformbestrebungen in der Katholischen Kirche dazu führen, dass diese immer mehr ihre Identität verliert und sie immer mehr „protestantisch“ wird. Ist das wirklich so? Was ist denn eigentlich „katholisch“?

Eine der klassisch gewordenen Bestimmungen dessen, was katholisch sei, stammt von dem Mönch  und Kirchenvater Vincenz von Lérins (um  450). Er fasst in einer berühmten Formulierung zusammen, was Irenäus von Lyon und Tertulian schon gelehrt hatten.

Das ist katholisch,

was überall (ubique), was immer (semper) und was von allen (ab omnibus)

geglaubt wird.

Ja. Und was ist wirklich katholisch? So einfach ist das nämlich nicht.

Aus östlicher, orthodoxer Sicht hat der Westen den Leitsatz des Vinzenz eigenmächtig verworfen, da er dem kirchlichen Glaubensbekenntnis (Credo) von Nikäa und Konstantinopel von 451 (Nicäno-Konstantinopolitanum) den Zusatz „Filioque“ eingefügt hat, womit er lehrt, dass der Heilige Geist nicht nur aus dem Vater, sondern aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht. Damit hat der Westen aus orthodoxer Sicht seine Katholizität eingebüßt. Dieser Zusatz ist neben dem Papstprimat der wichtigste Punkt, der die beiden Kirchen trennt. Die Orthodoxe Kirche, die sich nicht als „Konfession“ versteht, bezeichnet sich auch als die eine, heilige, allumfassende (=katholische) und apostolische Kirche.

Ok. – Also was ist dann etwas spezieller römisch-katholisch?

Das Adjektiv „katholisch“ geht auf eine Zusammensetzung aus der Präposition κατά katá ‚in Bezug auf‘ und dem Adjektiv ὅλον hólon ‚das Ganze‘ zurück. Also: „in Bezug auf das Ganze“ oder „allgemein“, im Gegensatz zu dem Besonderen, dem Einzelnen.

Gläubige, die sehr auf das Katholische pochen, sind meist der Überzeugung, was wirklich katholisch sei,

stehe inhaltlich von Anfang an fest und bleibe immer und überall, an allen Orten, zu allen Zeiten und für alle Generationen das Gleiche und sei daher nur zu bewahren, vor allem unversehrt zu tradieren, erfordere deshalb nichts als treue Überlieferung in sorgfältiger Konservierung, im Notfall eine Restauration, aber auf keinen Fall eine Erneuerung, Erweiterung oder gar Veränderung.

Das ist ein Missverständnis!

Die Bezeichnung Katholische Kirche erscheint zum erstmals bei Ignatius von Antiochien (+117) in seinem Brief an die Christen in Smyrna: „Wo der Bischof erscheint, dort soll die Gemeinde sein, wie da, wo Jesus Christus ist, die katholische Kirche ist.“ Katholizität ergibt sich also von Jesus Christus her; sie folgt aus der Christusgemeinschaft.

In der nächsten Belegstelle geht es um den Bericht vom Martyrium ihres Bischofs Polykarp (um 167). Ihn schickt „die Kirche Gottes zu Smyrna an die Kirche Gottes in Philomelion und an alle Gemeinden der heiligen katholischen Kirche auf der ganzen Welt.“

Katholisch ist also die eine Kirche als die Gesamtheit aller Ortsgemeinden bzw. –kirchen (auch der künftigen).

Dabei gibt es Ereignisse in einer Gemeinde, die allen anderen mitzuteilen sind,
weil sie für alle Bedeutung haben. Wichtig ist die Tatsache, daß es hier eine Kommunikation von einer Gemeinde an alle anderen, also aller Gemeinden untereinander gibt, die auch Dinge einbezieht, die nicht unmittelbar auf Jesus Christus zurückgehen, sondern lokale Ereignisse in einer Kirche mit Bedeutung für die ganze Kirche sind und dieser mitgeteilt werden.

Eine dritte Stelle stammt aus der Zeit vor der Formulierung der Glaubensbekenntnisse. In Nikaia 325 heißt es: “Die aber sagen: …, die belegt die katholische Kirche mit dem Anathema (Bann)“. 

Wichtig ist die Form der Aussage, weil sie viel über das Selbstverständnis der Katholizität verrät. Das Konzil nennt die abgelehnte Aussage nicht falsch noch die eigene katholisch. Es argumentiert auch nicht. Es schließt einfach die Vertreter einer bestimmten Auffassung aus der Gemeinschaft der katholischen Kirche aus. Nicht eine Begrenzung oder ein Gegenpol zur
Katholizität wird benannt, vielmehr die Unvereinbarkeit mit der Katholizität festgestellt.

Halten wir als Bedeutung der Katholizität fest: Sie ist eine Wesenseigenschaft der Kirche, die ihr aufgrund ihrer Gemeinschaft mit Jesus Christus zukommt.
Sie wahrt diese Eigenschaft in allen örtlichen Ausprägungen in und durch die
Christusgemeinschaft in allen diesen Kirchen – konkret durch Kommunikation unter allen zugehörigen Gemeinden. Im Konfliktfall stellt das Urteil formal die Nichtzugehörigkeit zu dieser Katholizität fest, nicht unmittelbar die Wahrheit einer Aussage. Insofern bleibt Katholizität an die Kirche gebunden, ist von ihr nicht ablösbar und läßt sich nur von ihr her inhaltlich bestimmen.

Der erste Prüfstein der jungen Kirche ist der Großkonflikt, in der Frage, ob man beschnitten werden müsse, um das Heil zu erlangen. Hier werden erstmals die Lern- und Lösungswege eingeschlagen, die bis heute, nur verfeinert und rechtlich geregelt, praktiziert werden. Die Betroffenen kommen zusammen – zur Synode oder zum Konzil, sagen wir heute -, man
tauscht Erfahrungen und Überlegungen aus und entscheidet dann gemeinsam, die Gemeinschaft wahrend, wenn möglich, einmütig. Die Apostelgeschichte berichtet.  Die Gemeinschaft der Kirche ist nach diesem
Entscheid eine andere, eine anders bestimmte und getragene Gemeinschaft als vorher. Das Entscheidende, die Gemeinschaft mit Christus und untereinander, ist aber gewahrt und zugleich deutlicher geworden. Beschneidung und Speisegebote sind nicht aufgehoben, aber haben einen anderen Stellenwert bekommen. Das Gefüge der Elemente hat sich verändert. Der Klärungsprozeß um diese Fragen ist damit nicht zuende, es gibt Folgeprobleme.

Dieses Verfahren, über die Grenzen der eigenen Gemeinde hinaus mit den Betroffenen zusammen zu beraten und zu entscheiden, bewährt sich in der Folgezeit. Das ist beileibe nicht einfach. Eine Strömung, zum Beispiel, hielt die Materie und die Natur für generell zu „unrein“, als dass Jesus ein wahrer Mensch hätte sein können. Das konnte man ausräumen. Nicht immer ging das ohne Konflikte.

Die Bindung an das Kaisertum hatte in der oströmischen Reichshälfte noch 1000 Jahre Bestand, während der Untergang des Kaisertums im Westen die Kirche von Rom dazu zwang, ihre eigene katholische Form auszubilden, wobei sie nicht auf Bewährtes zurückgreifen konnte, sondern selbst lernen und experimentieren musste.

Die alte Kirche hatte auch das Problem, dass die Gebildeten ihrer Zeit eine hervorragende Bildung in der griechischen Philosophie besaßen. Um sie also zu erreichen, musste sich auch die Kirche vorsichtig auf dieses für sie zunächst fremde Gebiet vorwagen. Am Ende tat sie das aber sehr erfolgreich, wie die vielen philosophischen Schriften und Diskussionen der Kirchenväter zeigen. Dabei wurden immer mehr Fragen aufgedeckt, die nicht einfach durch Zitate aus den Heiligen Schriften geklärt werden konnten, sondern wo der Konsens sehr mühevoll gefunden wurde. Vergleiche die göttliche Natur Jesu, die Dreifaltigkeit, die Sakramente.

In all diesen Jahrhunderten lernt und entwickelt sich die Kirche laufend. Der Prozess geht im Mittelalter und der frühen Neuzeit weiter. Zunächst musste man um das Jahr 1000 verkraften, dass das als ziemlich sicher voraus berechnete Ende der Welt nicht eintrat. Dann bescherte die Entdeckung der Neuen Welt die Frage, ob die Indios zum katholischen Glauben befähigt wären oder nur das Recht auf ein Sklavendasein hätten.

Der genaue Blick in die Kirchengeschichte lehrt, dass es nie anders war. Die Kirche war immer zur Veränderung herausgefordert.

Erst im zwanzigsten Jahrhundert kam, zum Beispiel, die ökumenische Bewegung auf und hält die Kirche allem Anschein nach immer noch „in Atem“. Der interreligiöse Dialog ist ein weiteres Feld, wo sich die Kirche einbringen will, um Frieden und Verständigung zwischen den Kulturen zu ermöglichen. Dann gibt es die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle, Strukturreformen um diese in Zukunft abzuwenden, die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Ehelosigkeit von Priestern.

 

 

 

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