Für Völkerverständigung – Gegen Mobbing und Anfeindungen
Предисловие на русском языке: Мы заверяем российский народ, что не считаем его автором этих актов. Мы считаем, что они испытывают стыд и позор. Мы понимаем, что многие из них даже не знают фактов. Мы уважаем их страх перед собственными государственными органами. Пожалуйста, читайте дальше…
Unser Atem bleibt stehen, um unser Herz wird es eiskalt, der Verstand dreht sich im Kreis…
Wir sehen uns gegenseitig an und blicken in ratlose Gesichter.
Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
Zerstörung von Leben und Hoffnung,
die Angst mit ihren Krallenfingern,
ans Licht gekrochen, aus Gewölben tief.In den goldenen Zeiten des Aufschwungs
kaum verarbeitete Erinnerungen,
über die Wand kriechen die Schatten,
verbreiten dämonisches Grauen.
Was müssen wir erleben?
Der russische Präsident erklärt zwei Landesteile eines souveränen Nachbarlandes für unabhängig. Deren selbsternannte Repräsentanten bitten um Hilfe und danach überschreiten fremde Soldaten ihre Grenzen, um dort „Frieden“ zu bringen. – Aber das ist keine Logik des Friedens.
Der russische Präsident erklärt eine frei und demokratisch gewählte Regierung seines Nachbarlandes für korrupt und faschistisch. Und dann überschreiten fremde Soldaten die Grenzen des Landes, um dort „Freiheit“ zu bringen. – Aber das ist keine Logik der Freiheit.
So einen Krieg befiehlt nicht einer allein und eine solche Situation entsteht auch nicht ohne ein entsprechendes politisches Umfeld von Mitläufern. – Aber das ist keine Logik der Vaterlandsliebe und Loyalität.
Der russische Präsident droht der ganzen Welt und erinnert an seine Atomwaffen. Er breitet Angst und Schrecken nicht nur in seinem Land aus, sondern überall, wo er bisher noch als Partner galt. – Aber das ist keine Logik der Zusammenarbeit.
Was können wir tun?
Wir dürfen nicht in Starre verfallen. Nach den Fehlern der Vergangenheit suchen, können wir später, nicht jetzt. Das wenige, was wir tun können, sollten wir jetzt einig und ruhig tun – viel ist es wirklich nicht.
Wir stehen weiter zu Völkerverständigung und wenden uns gegen Mobbing und Anfeindungen. Wir versichern dem russischen Volk, dass wir es nicht als die Urheber dieser Taten ansehen. Wir glauben ihm, dass es Scham und Schande empfindet. Wir verstehen, wenn viele von ihnen die Tatsachen gar nicht kennen oder nicht einmal wissen wollen. Wir respektieren ihre Angst vor den eigenen Staatsorganen. Und wir verstehen, dass auch das belarussische Volk in derselben Leere lebt wie wir alle – zwischen Licht und Dunkelheit.
Ebenso wenig stigmatisieren wir Menschen mit russischen Wurzeln hier im Lande oder Menschen, die der russischen Sprache und Kultur verbunden sind und nun ebenso enttäuscht sind. Wir nehmen niemanden in Mithaftung für diesen Krieg, den nur der Präsident und ein kleiner Kreis von willigen Befehlsempfängern gestartet haben, indem sie die Loyalität eines grausamen Machtapparats missbrauchen. Wir wollen keine Welle von Russenfeindlichkeit in Deutschland, Europa und der Welt. Insbesondere russische Kinder nehmen wir in den Arm.
Wir hoffen aber, dass Menschen, die frei hier bei uns leben und über alle Informationsquellen frei verfügen können, sich nicht zum Sprachrohr völlig unhaltbarer Thesen ihres Präsidenten machen und seine unmenschlichen Handlungen verteidigen. Wir geben nicht auf, mit ihnen zu diskutieren und zwingen uns zur Toleranz.
Wir müssen aber auch Toleranz mit uns selber üben, denn nicht jede Meinung, jeder Vorschlag, jede Maßnahme wird uns gleich „gut“ vorkommen. Sehen wir auf jeden Fall tiefer, auf das Bemühen, und handeln wir dann nach bestem Gewissen.
Wir reflektieren: Der Krieg in der Ukraine steht vor allem im Zeichen einer Weltordnung, die sich scheinbar logisch mit militärischen, patriarchalen und kolonialen Argumenten rechtfertigt. Welche großen Staaten offenbar ein ganz natürliches Machtstreben zubilligt. Diese Logik ist aber rückwärtsgewandt und überholt. Sie ist nicht zukunftsfähig. Wir verurteilen diesen Imperialismus zutiefst, der bereits zu viele Kriege verursacht und Menschenleben gekostet hat. Dieses Stadium haben wir doch überwunden, oder nicht? Wir wissen doch längst, dass wir viel enger zusammenarbeiten müssen, nicht? Wir haben doch keine andere Erde!
Wer auch nur einen Funken Ehrfurcht und Glauben an dieses Leben und diese Erde als an ein göttliches Geschenk in sich spürt, wird – völlig unabhängig von jeder speziellen Religion, Konfession, Kirche oder „Philosophie“ – jeden Ausbruch von reinen und unverhüllten Machtinteressen, welche den Frieden aufgeben, ablehnen müssen. Und selbst wer alles Irdische nur auf das Wirken der Natur oder des Menschen oder des „Zufalls“ zurück führt, wird es nicht für ein „gutes“ oder „vernünftiges“ Geschehen halten können.
Wir überprüfen unsere Sanktionen: besitzen sie einen definierten Zweck? Oder bestrafen sie nur eine Auswahl von Menschen allein für ihr Russisch-Sein? Wir unterscheiden, ob Künstler oder Wissenschaftlicher wirklich dem Krieg nutzen oder vor ihm genauso erschrecken wie wir. Empfinden wir nur das Gefühl, mit Sanktionen etwas zu bewirken oder verstehen wir, was ihr Tun bewirkt? Verschaffen sie uns nur ein trügerisches Gefühl von Gemeinsamkeit oder brauchen wir das auch?
Wir sind behutsam mit unseren Worten: Die erste Eskalation ist die verbale. Wenn man anfängt, bestimmte Worte zu benutzen, bestimmte Ausdrücke, dann heizt man damit die Gemüter an. Das führt dann zum „Einsatz anderer Mittel“ und letztlich zu immer „tödlicheren Waffen“.
Suchen wir nach einem angesehenen Vermittler! Oder mehreren.
Viele von uns müssen ihre unendliche Enttäuschung ertragen. Alle unsere Bemühungen um Frieden, Verständigung und wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit liegen in Scherben. Alle unsere persönlichen Beziehungen nach Russland und in die Ukraine sind von größter Besorgnis überschattet.
Dieser Gewaltakt rüttelt an unseren mentalen Grenzen.
Erst ganz langsam dämmert es uns, wie sehr unser ganzes Leben „auf Kante“ genäht ist und dass der Frieden unverzichtbar zum Leben aller Menschen ist. Erst dann kann man sich um Klima und weitere Bedrohungen (Pandemie, Armut, …) kümmern. Es sind ja nicht nur dieses „verdammte“ Erdgas und Erdöl. Bis Ende März muss unbedingt die Frühjahrssaat in die Erde. Wenn die Ukraine dieses Jahr kein Getreide exportieren kann, wird die Welt hungern. Die Preise sämtlicher Rohstoffe steigen ja jetzt schon. Nicht nur an unseren Tankstellen, auch in Asien, Afrika, Südamerika. Die armen Länder sind noch betroffener als wir.
Wir wollen uns darauf besinnen, dass Worte wie „Wie geht es dir?“ oder „Schönen Abend!“ oder „Schönen Sonntag!“ nicht nur so dahergesagt werden, sondern auch wirklich etwas bedeuten.
Wir haben weiter Hoffnung, aber müssen auch realistisch sein. Realismus lehrt uns, wie wir über die Welt denken sollen, aber leider nicht, was wir darüber denken sollen. Es ist ein weiter Begriff, der Menschen mit vielen Meinungen und einer Vielzahl von Parteizugehörigkeiten umfasst, die jedoch alle an die zentrale Bedeutung von Angst, Ehre und Interesse als Triebkräfte zwischenstaatlicher Angelegenheiten glauben. Politik ist Macht. Macht ist „alles, was Menschen über Menschen ausüben, von physischer Gewalt bis hin zu den subtilsten psychologischen Bindungen, durch die ein Geist den anderen kontrolliert.“ Bewaffnete Gewalt lehnen wir ab.
Beten? – Ja, vielleicht das auch. Fasten und Beten sind in unserer christlichen Überlieferung Wege, den positiven Kräften Gottes Raum zu geben und angesichts der negativen Gewalten nicht zu resignieren. Damit soll keine Verantwortung auf Gott „abgewälzt“ werden.
Es gibt in der christlichen Bibel und in anderen heiligen Schriften viele Stellen, die von einem „gerechten Kampf“ sprechen und von einem Gott, der „den Sieg verleiht“. Diese haben alle einen schalen Beigeschmack. Gott führt keine Heere zum Sieg. Den Irrtum berichtigt Jesus. Er gibt niemandem das Recht, vermeintliche Sünder zu bekehren, indem man sie tötet. Im Gegenteil: wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Wer sind wir denn, richten zu wollen, wie andere leben, und sie zur Strafe mit Gewalt zu überziehen? Steht das nicht nur Gott zu? Böse handeln, um Gutes zu tun, geht nicht. Wir wollen uns lieber von „Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute!“ (Röm. 12, 21) motivieren.
Wir können uns aus dem Konflikt nicht „herausglauben“. Ob unsere Gebete die Mächtigen erreichen, ist ungewiss. Sie werden uns aber stärken und zur gemeinsamen Hilfe befähigen und die Not teilen können. Das ist etwas, was Menschen in allen Religionen vereint.
Wir alle haben Angst!
Vier Wochen
Der Krieg geht heute in die vierte Woche. Es ist bestürzend, zu welchen sprachlichen Verdrehungen der Menschliche Geist in der Lage ist. Historisches Unwissen paart sich mit unzeitgemäßer unverhüllter Bewunderung von Rücksichtslosigkeit und angeblicher „Stärke“. Mit den Händen greifbares Leid völlig unschuldiger Menschen wird völlig ausgeblendet.
Die menschliche Psyche scheint gegenüber täglichen Berichten sogar stumpf zu werden und immer neue „Anreize“ zu verlangen, was manche Medien sogar zu befriedigen suchen. Auf unseren online Plattformen drängeln sich nach wie vor Trivia, Kuriosa, Banales und Kommerz um unsere Aufmerksamkeit. Wir grillen am Feierabend, lassen uns unterhalten und planen unseren Urlaub. Zeigt das die unsterbliche „Seele“, welche Menschen angeblich von Tieren unterscheidet?
Der Ukrainische Präsident wendet sich in live Reden an die demokratischen Parlamente der Welt. Manche sehen das nicht gern und würden auch gern den Russischen Präsidenten hören. Sie kritisieren, dass sie sich „Forderungen“ anhören müssten, dass „unangenehme“ Erinnerungen an die eigene Geschichte geweckt würden und dass die „Wirtschaft“ ja doch immer nur das „Beste“ gewollt habe. Ja bitte schön: was soll der Präsident denn sonst sagen? Soll er über das Wetter sprechen oder sich für Lebensmittel und Wolldecken bedanken?
Er würde versuchen, uns zur Kriegspartei zu machen und dadurch den Weltkrieg auszulösen. Ja bitte schön: wer wüsste denn andere Stichpunkte einer Rede, wenn Wasser und Brot ausgehen und niemand mehr im eigenen Bett schlafen kann. Die Entscheidung, wie wir uns am Ende verhalten wollen, kann uns niemand abnehmen. Hoffen wir, dass wir uns zu bestimmten Konsequenzen nicht entscheiden müssen. Geben wir zu, dass wir Angst haben. Und uns schämen.
Vielleicht ist es richtig – Normalität ist unsere beste „Waffe“. Wir können nur dann stark sein, wenn alle von uns unserer Arbeit nachgehen und das tun, was wir am besten können. Was heißt das im Klartext? – Der Bäcker backt, der Schreiber schreibt, der Denker denkt, der Sänger singt, der Politiker redet, macht Opposition oder Regierung, der Fußballer schießt Tore. Ja – so einfach kann es sein. Wenn wir auf Willkür und Aggression so antworten, vermeiden wir am ehesten die Spirale der Gewalt, die uns bedroht. Ok – aber dann lasst uns auch alle zu Helfern werden, die helfen, zu Menschen, die wissen, und zu Schwestern und Brüdern, die ein Herz haben.
Sechs Wochen
Nicht nur hierzulande bestimmt der Ukrainekrieg die Medien, aber die Welt ist sich keineswegs einig. Obwohl die Presse in Deutschland frei berichten kann, wenden sich viele Menschen von der Kriegsberichterstattung ab.
Denn die Medien müssen auch lernen, dass nicht immer neue Sensationen Aufmerksamkeit verdienen, sondern auch der stille Bericht, das Innehalten berechtigt sind. Es ist sichtbar, dass sie keine Erfahrung damit haben, wie man über kriegerische Konflikte berichtet. Sie müssen einsehen, dass man bei einem kriegerischen Konflikt auch schnell Teil des Konflikts wird. Und dass es deshalb sehr wichtig ist, in Ruhe und ausgewogen zu berichten – und auch die eigene Rolle immer wieder zu hinterfragen.
Immer nur neue erschütternde Nachrichten und Bilder empfinden zunehmend viele Menschen als unerträglich. Das soll natürlich nicht davon ablenken, dass die Wirklichkeit tatsächlich so schlimm ist.
Was soll man glauben?
Information ist kostbar. Fühlen Sie sich erschlagen von den Nachrichten? Wissen Sie gar nicht, was man überhaupt noch glauben kann?
Dann seien Sie extrem vorsichtig mit Posts in sozialen Medien, vor allem, wenn sie Bilder und Videos enthalten, insbesondere wenn sie Kinder zeigen. Kaum jemand prüft sie kritisch. Manchmal passen sie einfach nur thematisch (Symbolbilder), aber stammen keineswegs aktuell aus dem Kriegsgebiet oder zeigen das tatsächliche Geschehen.
Schauen Sie, ob den Fotos oder Videos ein Link als Quelle beigegeben ist. Prüfen Sie die Links und finden Sie heraus, ob Links im Kreis herum sich selber belegen. Denken Sie nicht, dass wenn zwei Seiten Gegensätzliches sagen, die Wahrheit irgendwo in der Mitte läge: nein – eine Seite lügt tatsächlich. Achten Sie darauf, ob eine Seite mehrere widersprüchliche Erklärungen abgibt: dann sind meist alle unwahr. Wenn ein Beitrag typische Kampfbegriffe verwendet wie „Lügenpresse“, „revanchistisch“ usw. dann zeugt das nicht gerade für Bereitschaft zu Objektivität.
Misstrauen Sie Videos, in denen eine Vertrauen erweckende Stimme vermeintlich einfache Dinge „erklärt“, während im Hintergrund in schneller Folge Szenen gezeigt werden, deren Wahrheit niemand so schnell beurteilen kann.
Sie müssen nicht jedem „Mainstream“ Argument bedingungslos glauben, aber wer behauptet, etwas sei falsch, nur weil es mainstream sei, der hat auch Unrecht. Schauen Sie sich an, ob jemand tatsächlich argumentiert oder nur Behauptungen an einander reiht, sowie ob jemand prinzipiell nur „dagegen“ ist. Vorsicht, wenn jemand behauptet, „geheimes“ Wissen zu besitzen oder ganz vertrauliche „Studien“ oder „Planspiele“ zu kennen. Geben Sie Stimmen von Skeptikern durchaus Raum, aber verlangen Sie auch von denen, dass sie Meinungen begründen und Behauptungen belegen. Sprüche wie „Man wird doch wohl noch fragen dürfen…“ reichen dazu nicht aus. Weisen Sie solche „Über-Skeptiker“ zurecht und machen Sie um diese einen Bogen.
Seien Sie sich bewusst, dass die deutsche Medienlandschaft durchaus so frei ist, dass niemand mundtot gemacht wird. Nur weil die öffentlich rechtlichen Sender von unseren Gebühren leben, sind sie keine „Staatsmedien“, welche auf Befehl nur Regierungspropaganda machen. Und weil die Privatsender und praktisch alle Zeitungen von der Werbung leben, führen sie keinesfalls aus, was „dunkle Mächte“ von ihnen verlangen. Zwar gießen einige Journalisten lieber „Öl ins Feuer“, als zu vermitteln, aber generell achten die meisten auf Qualität. Erkennen Sie an, dass Journalisten auch von ihrer Arbeit leben müssen, und entschließen Sie sich zu dem einen oder anderen Bezahlabo. Widerstehen Sie der Versuchung, den Krieg aus social-media Perspektive nur zu „konsumieren“ – bringen Sie sich ein, irgendwo! Reden Sie!
Unterscheiden Sie, dass etwas „verstehen“ und etwas „billigen“ zwei ganz verschiedene Dinge sind. Entscheiden Sie für sich selber, bis zu welcher Grenze die Verhältnismäßigkeit von Mitteln geht. Es ist nicht deshalb schon „alles“ erlaubt, nur weil andere Versuche gescheitert sind oder gar nicht erst unternommen wurden.
Und verzichten Sie darauf, ähnliches Material auch selbst zu teilen. Gerade zum Ukraine-Russland-Konflikt kursieren viele Falschinformationen und Gerüchte. Vergrößern Sie diese Lawine nicht auch noch!
Sieben Wochen
Es hat in den letzten Tagen in mehreren deutschen Städten Autocorsos gegeben, in denen viele Flaggen gezeigt wurden, von Russland, auch der alten Sowjetunion, aber auch von Kasachstan, Georgien, Deutschland und Europa. Die internationale Presse hat das verwundert kommentiert. Aber wenn man den wenigen Sprechern glauben darf, die sich zu Wort melden, soll dadurch nur auf ungerechtfertigte Diskriminierung von Russen aufmerksam gemacht werden, die in Deutschland leben. Ja – die ist nicht in Ordnung. Der Krieg aber auch nicht.
Im Übrigen sind es in Russland nicht nur Rentner, die aus dem Fernsehen die offiziellen Meldungen übernehmen, sondern vor allem auch Kinder, die in den Schulen in sämtlichen Fächern von ihren Lehrer:innen erfahren, dass der Staat gerade richtig handelt. Auch das trägt dazu bei, dass russische Familien zur Zeit schwerstens belastet sind und Politik am Esstisch völlig tabu ist. Ob unsere Schulen es wohl schaffen, die Fragen unserer Kinder zu beantworten? Wir erfahren wenig davon. Auch von unseren europäischen Nachbarn nicht. Und was wird an unseren Esstischen besprochen?
Dabei haben wir Deutschen wenig Grund, uns für überlegen zu halten. Die sechs Jahre dauernde Propaganda seit 1933 führte schließlich dazu, dass der Einmarsch 1939 in Polen von vielen Deutschen auch privat durchaus unterstützt wurde und sogar die deutschen Bischöfe Hirtenbriefe über den „Verteidigungskrieg“ schrieben und die deutsche Militärseelsorge tatkräftig aufrecht hielten.
Man sagt Russen nach, dass der Zar früher neben dem Patriarchen sein Amt von Gott hatte und ihm unbedingter Gehorsam zustand, was heute einfach auf den Staat übertragen worden sein soll. Aber wer erinnert sich noch an die pflichtbewussten Beamten preußischer Schule, die in deutschen Ämtern und Gerichten menschenverachtende Erlasse und Gesetze gegen Wehrlose umsetzten?
Der aktuelle, grausame Krieg spült eben nicht nur Erinnerungen an Zerstörung, Tod und Ruinen wieder nach oben, sondern mahnt uns selbst auch, dass wir eigene Taten immer wieder aufarbeiten und verkraften müssen. Wie schön wäre es, wenn das wirklich „Schnee“ von gestern wäre. Manche denken, es hilft wirklich im Moment nicht viel weiter, sich gerade jetzt an diese dunklen Zeiten zu erinnern. Wenn aber Deutschland wirklich „gelernt“ hat, dann stärkt es uns.
Karfreitag
Heute früh bekomme ich zwei schockierende Newsletter. Der eine ist von einem führenden online Meinungsportal und verkündet: „Da gibt es etwas Neues“ und widmet sich der Frage „Steht die Demokratie in Deutschland auf der Kippe?“. Gut – auch eine wichtige Frage, die man mittelfristig sicher nicht übersehen sollte, ganz gewiss, aber: Was geschah in der Nacht in der Ukraine? – Nichts dazu. Kein Wort. Was war mit diesem Schiff? – Nichts dazu. Kein Wort. Und dann verabschiedet sich der Redakteur fröhlich in den Osterurlaub und verspricht, sich am Dienstag wieder zu melden. Das macht mich sprachlos. Erst vor wenigen Tagen schrieb die Redaktion noch über Abstumpfung und jetzt führt sie die selber vor.
Der andere ist von einem eher kleinen katholischen Portal und eröffnet mit der Erkenntnis: „das erste Osterfest ohne Lockdown steht bevor. Viele Gottesdienste finden wieder in Präsenz statt.“ Gut – wer tapfer durchhält und unten noch weiterliest, findet den Krieg im Zusammenhang mit Beten und Diktatoren irgendwie doch noch. Aber gehört der Krieg denn nicht eher GANZ OBEN hin? GANZ OBEN – mit BILD sowie mit einem GEBET? Statt dessen haben sie die Stirn, ganz unten sogar noch für Spenden zu werben – nein, nicht für die Flüchtlinge – für sich selber.
In der Ukraine fliegen Raketen, gehen Bomben und Minen hoch, schießen Panzer, stürzen Häuser ein, sterben Menschen und haben Kinder Angst. Menschen leiden seit 50 Tagen unter Wasser- und Brotmangel, können sich und ihre Kleidung nicht waschen, nicht in ihren Betten schlafen. Es ist kalt, der Strom fällt aus. Die Anzahl der Flüchtlinge hat fünf Millionen erreicht. Und ob die Aussaat für die nächste Weizenernte klappt, steht in den Sternen. Welch ein Osterfest!
Dass die katholische Kirche sich seit Jahren nur noch um sich selber dreht, kennt man. Der Papst versucht von Rom aus, aufzurütteln und für seine Verhältnisse viel Klartext zu sprechen und zu „kämpfen“. Hat nicht auch Jesus verlangt, dass wir uns um unsere NÄCHSTEN kümmern. Das sind nicht WIR – das sind ANDERE!
Ostern
Es ist erstaunlich, dass in diesem Jahr wieder mehr als 50 Ostermärsche angemeldet sind. Jeder hat seinen eigenen Aufruf und es ist wenig verwunderlich, dass das Friedensthema sehr unterschiedlich darin zu Wort kommt: manche machen aus ihrer Opposition zur Nato keinen Hehl, manche lehnen jeglichen Rüstungswettlauf ab, viele fordern sofortige Verhandlungen. Wir sollten uns freuen, dass die Bereitschaft, sich mit Friedensfragen zu beschäftigen so hoch ist, wenn auch manche Forderungen im Moment vielleicht nicht ganz so praktikabel oder angemessen zu sein scheinen. Langfristig ist kaum etwas wirklich falsch. Es ist nur schade, dass einige deutsche Politiker das ganz anders sehen und einfach nur Rückendeckung der deutschen Politik erwarten. Es wäre besser, sie griffen auch zu einem (eigenen) Transparent und reihten sich ein. Wie sagte man einmal aus einem ganz anderen Anlass auf Kölsch: Arsch huh, Zäng ussenander.
Hoffnung, Auferstehung, Weitermachen?
Wie oft haben Sie in den letzten Wochen ungläubig von der Stadt Mariupol gehört? Wenn Sie es ertragen, klicken Sie die folgenden 15 Bilder von ZEIT-Online an.
Ostern (Orthodox) und danach
Genau eine Woche nach den westlichen christlichen Kirchen feierten die östlichen Kirchen das Osterfest. Der russische Präsident grüßt sein Land und seinen Patriarchen in zwei Grußworten und hält den Raketenbeschuss auf die Ukraine aufrecht. Am Sonntag danach gewinnt Macron die Stichwahl in Frankreich – der russische Präsident sendet ihm ein Glückwunschtelegramm. Er empfängt Besucher aus dem Ausland und zeichnet russische Sportler mit Ehrungen aus. Das russische Fernsehen berichtet, als ob es keinen Krieg gäbe.
Eine Athletin sagt in ihrer Antwortrede, dass sie dem Präsidenten dafür danke, dass sich das Land unter seiner Führung „von den Knien erhoben“ habe. Genau diese Meinung durchzieht das ganze Land und beschert Putin in Meinungsumfragen Zustimmungswerte von weit über 70% seit Jahren schon. Westliche Präsidenten und Kanzler können dabei nur vor Neid erblassen, wenn sie schon kurz nach Wahlen wieder auf 25% absinken. Mit dieser Tatsache müssen wir uns vertraut machen, wenn wir uns Vorstellungen machen, wie der Krieg beendet werden könnte und es danach weitergehen soll.
Was Russland denkt
Russische Erwachsene, die sich noch an die 1990er Jahre erinnern oder von ihren Eltern davon hören, wissen noch, dass ihre Ersparnisse durch gewaltige Preissteigerungen aufgezehrt wurden, dass sie arbeitslos waren, ihre Renten und Gehälter oft nicht ausgezahlt wurden und dass in den Geschäften kein Brot und Fleisch zu kaufen war und sie Hunger leiden mussten. Parallel wurden russische Unternehmen an Insider privatisiert, die gewaltige Vermögen bilden konnten und als Oligarchen in die Geschichte eingingen. Die Russen von heute vergleichen diese bitteren Zeiten mit heute und rechnen es als Putins Verdienst, dass sie so etwas nicht mehr durchleben müssen.
Das ist im Prinzip genau dieselbe Reaktion wie nach 1933, als Adolf Hitler den Menschen nach langer Arbeitslosigkeit wieder Arbeit und Brot gab und dafür sorgte, dass es auf den Straßen wieder sicherer wurde und die Züge wieder pünktlich fuhren. Und es gab diese erfolgreiche Olympiade 1936 in Berlin und diese schönen Filme im Kino und den strahlenden, kampflosen Anschluss Österreichs und so weiter. Hitlers Zustimmungsrate war bis weit nach 1940 enorm hoch.
Wir können es der russischen Bevölkerung also nicht verübeln, wenn sie sich von den schönen Meldungen im Fernsehen so einnehmen lassen. Sie wollen ja auch nur, genau wie wir, das Beste für ihre Kinder, Arbeit, ein Dach über dem Kopf, genug zu essen, einen Kühlschrank, ein Auto und etwas Reisen. – Wie schaffen wir es, das Bild einigermaßen zurecht zu rücken? Denn es geht Russland ja durchaus nicht „gut“, und das schon lange und durchaus durch Putins Handeln.
Russland hat zwar auf dem Papier die ehemalige kommunistische Planwirtschaft vollkommen aufgegeben und eine freie Marktwirtschaft eingeführt, jedoch sitzen in sämtlichen Führungspositionen handverlesene Vertrauensleute der Regierung. Wesentliche Entscheidungen werden nach wie vor hinter verschlossenen Türen getroffen und Transparenz und parlamentarische Kontrolle existieren kaum. Riesige Summen Geld lagern auf Konten außerhalb des Landes und werden nicht im Land zum Wohle des Volkes investiert. Zoll- und Steuerhinterziehung, Unterschlagungen und andere wirtschaftliche Straftaten bilden ein riesiges Problem. Auf allen Ebenen der Politik, Rechtsprechung und Wirtschaft existiert Korruption. Gewaltausbrüche und organisierte Kriminalität sind an der Tagesordnung. Die alten Oligarchen sind durch eine vollkommen neue Generation von noch reicheren und noch mächtigeren Oligarchen ersetzt worden, die zudem noch abhängiger von der Kremlführung sind. Die Gouverneure der Regionen werden von der Zentrale ernannt und nicht mehr frei gewählt. Sämtliche Wahlen zum Zentral- und den regionalen Parlamenten werden gelenkt und beeinflusst. Freie Meinungsäußerung ist unterbunden. Junge, gut ausgebildete Menschen verlassen in Scharen das Land, das seit Jahren schon jährliche Bevölkerungsrückgänge von etwa 1% verkraften muss. Das Land ist überaltert und musste vor kurzen auch das Renteneintrittsalter deutlich erhöhen, was auf viel Unmut traf. Der Alkoholismus ist sehr hoch. Der Staat leistet sich ein vollkommen überdimensioniertes Militär, welches außerordentlich teuer ist. Ebenso eine gewaltige Armee von Geheimdienstmitarbeitern im In- und Ausland, die alle hohe Kosten verursachen, aber nichts Produktives leisten. Das Land lebt vom Verkauf seiner Bodenschätze und erzeugt praktisch keine auf dem Weltmarkt nachgefragten technischen Produkte mehr. Die ehemals angesehenen Schiffsbau- und Luftfahrtindustrien sind praktisch nicht mehr da. Allein in der Raumfahrt, Sport und Kultur hat es sein Niveau gehalten. Es wäre unheimlich viel zu tun, moderne Straßen, Kindergärten und Krankenhäuser zu bauen. Davon erfährt man in den bunten Fernsehnachrichten natürlich gar nichts.
Offene Briefe und Pazifismus
Offene Briefe können denen eine Stimme geben, die sonst nicht gehört werden. Nicht nur in Deutschland erschienen zuletzt viele offene Briefe. Zwei von ihnen finden Sie hier. Sie richten sich an den deutschen Kanzler und behandeln das Für und Wider von Waffenlieferungen. Bevor Sie den zahlreichen Kommentatoren folgen, die sich mit ihnen auseinandersetzen, lesen Sie lieber die Originale.
Sehr schnell wenden sich einige Kommentare dem „richtigen“ Verständnis von Pazifismus zu. Ja – was ist das denn: Pazifismus? Fast alle stimmen darin überein, dass es besser ist Frieden zu „haben“ als Krieg. Aber man muss ihn auch „machen“, und daran scheiden sich oft die Geister. Der Begriff geht bis 1846 zurück und soll bedeuten: „alles, was den Frieden zu stiften und zu bewahren bestrebt ist.“ Er musste jedoch bis nach 1900 warten, bis er von verschiedenen Friedensbewegungen übernommen wurde. Wesentlich älter ist die lateinische Spruchweisheit „Si vis pacem para bellum“ (Wenn du Frieden willst, bereite Krieg vor). Wie man das konkret machen soll, hat auch Walter Benjamin beschäftigt, der es so formulierte: Wenn du Frieden willst, dann rede vom Krieg. Und moderne Friedenswillige machten daraus: Wenn du Frieden willst, dann arbeite für ihn. In der Tat, geschenkt bekommen wir ihn nicht. Wir müssen etwas tun. Was genau und wieviel das ist, das sehen viele ganz verschieden.
Gedenktage
Jetzt ist er vorbei, der Tag des Sieges im Großen Vaterländischen Krieg, wie Russland diesen staatlichen Feiertag nennt, am 9. Mai. Vorher hatten bereits andere Länder der deutschen Kapitulation und dem Ende der Herrschaft Adolf Hitlers im Jahr 1945 gedacht. Seit einigen Jahren begeht Russland den Tag mit einer großen Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau, welche zur Zeit der Sowjetunion allerdings immer am 7. November zur Erinnerung an die Oktoberrevolution 1917 stattfand.
Was Putin dabei in seiner elfminütigen Rede gesagt und nicht gesagt hat, wird nun weltweit von den Kommentatoren ausgewertet, etwa: FAZ – Reinhard Veser: Ein Dokument der Ratlosigkeit. Hier der Text der Rede in einer englischen und einer deutschen Fassung, begleitet von eindrucksvollen Fotos. Und hier der deutsche Text mit ausführlichen Kommentaren und Faktenchecks zu den einzelnen Abschnitten. Der ukrainische Präsident wendet sich jedoch in einer eigenen Botschaft gegen alle russischen Versuche, die Ukraine um ihren Anteil an diesem Sieg zu „enteignen“. Auch andere mahnende Stimmen sehen die Schande des Krieges in der Ukraine so groß an, dass Russland keinerlei Grund mehr hat, sich stolz als »Retter der Welt vor dem Nazismus« zu geben. Es gibt nichts mehr zu feiern. Wir sollten die Kriege der Vergangenheit in der Geschichte belassen, anstatt zu tun, als wären sie Teil der gegenwärtigen Politik. Gleichzeitig geben auch Experten eine „Zone der Ratlosigkeit“ zu: Man weiß nicht mehr weiter und auch nicht, wie es zu Ende gehen könnte.
Das Leid geht weiter
Schon ein Vierteljahr! Meine eigenen Worte können es nicht besser ausdrücken als dieser Kommentar im Radio. Viele engagierte Stimmen in unserem Land melden sich hörbar seltener zu Wort. Es wird „ruhiger“. Vielleicht ist das gut. Der ukrainische Präsident erinnert jedoch Nacht für Nacht in seinen Ansprachen daran, dass der russische Nachbar mit Soldaten, Panzern, Raketen, Schiffen und Flugzeugen beinahe Tag für Tag eine blutige Spur von etwa 100 Todesopfern hinterlässt. Während in Moskau und St. Petersburg und bei uns die Sonne des Frühsommers die Menschen in „tiefem Frieden“ in die Parks und Cafés lockt. Und in der Ukraine kämpft eine russische Armee für die „Sicherheit“ Russlands. Das kann nicht sein… Aber was ist mit den russischen und ukrainischen Interessen? Und unseren?
Das 21. Jahrhundert
Wir müssen uns sehr ernsthafte Gedanken machen, wie es nach dem Krieg weiter gehen soll, welche Modelle und Visionen wir für das zwischen- und innerstaatliche Leben anwenden wollen. Aber bitte, nicht einer oder ein Lager allein sollte den Anspruch haben, das vorgeben zu können. Es gibt politische Denker, die das schon versuchen und erklären, dass das 21. Jahrhundert erst jetzt beginnt. Die Jahre von 1989 bis jetzt waren noch vom alten Denken beeinflusst, vornehmlich davon, dass der Westen zwar eifrig von Werten geredet hat und seinen eigenen Worten auch geglaubt hat, aber wenig Aufmerksamkeit dafür hatte, ob das anderswo auch geteilt wurde. Es gibt sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, wer von den Erschütterungen am meisten profitieren wird. Viele sprechen hinter der vorgehaltenen Hand dabei von China. Aber soll es darauf ankommen? Muss es nicht eine neue gemeinsame Plattform geben? Kann die UN sich zu einer solchen starken, normierenden „Weltmacht“ umwandeln? Sie wäre der ideale Profiteur. Die Rolle, die Deutschland spielen soll, ist (in Deutschland) naturgemäß sehr umstritten. Angeblich wünschen sich manche Europäer, dass Deutschland für die EU zu einer Art Lokomotive werde, auch was die aktuellen Hilfen für die Ukraine betrifft. Zurückhaltung dabei würde wieder das Bild eines „hässlichen“ Deutschen erzeugen. Mag ja sein. In Frankreich und anderen EU-Ländern wird man das anders sehen. Aber die Geschlossenheit der EU und die Einheit mit den USA und Großbritannien ist derzeit wesentlich wichtiger als öffentliches Lob in den Medien.
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Stand: Fr 27. Mai 2022