Die Legende von den Faschisten

Es gibt drei Gründe für Putins Krieg in der Ukraine: die Bedrohung durch die Nato, der Genozid in der Ost-Ukraine an der russischen Bevölkerung und die Faschisten (Nazis), welche die Ukraine quälen.

Der Faschist ist der größte Feind des Staates, des friedlichen Zusammenlebens aller und des gesellschaftlichen Fortschritts. So eine oft gehörte Lehre.

Was genau ist denn nun ein Faschist?

Kaum jemand sagt von sich selber: „Ich bin ein Faschist“, das heißt Faschist ist keine Selbstbezeichnung, sondern eine offenbare Fremdbezeichnung, genauer gesagt ein Kampfbegriff in der politischen Auseinandersetzung, und ein sehr wirksamer dazu. Das war jedoch nicht immer so.

Im Jahr 1914 warb in Italien der Sozialist und einer der bekanntesten Journalisten Benito Mussolini (1883-1945) dafür, dass Italien gegen Österreich und Deutschland in den Ersten Weltkrieg eintrat im Gegensatz zur unbedingten Neutralität, welche die sozialistische Position war. Wegen seiner nationalen Überzeugungen schloss ihn seine Partei allerdings aus allen Führungspositionen aus. Mussolini stellte Kampfbünde auf, die er Fasci di Azione Revoluzionaria (FAR) nannte. Er hat diesen Namen nicht vollständig erfunden, denn in der sozialistischen Bewegung in Italien hatte es vorher schon andere Bünde gegeben, die ebenfalls Fasci hießen. Die Bezeichnung ging auf Rutenbündel zurück, welche zusammen mit einem Beil im antiken Rom vor Konsuln und anderen hohen Staatsbeamten hergetragen wurden als Zeichen ihrer Gewalt über Leben und Tod.

Die Aufgabe von Mussolinis Fasci war es, Straßendemonstrationen zu organisieren und mitunter gewaltsam gegen Kriegsgegner vorzugehen. Nach dem Krieg gründeten sie erst eine Dachorganisation, die Fasci Italiani di Combattimento. Sie setzten sich nach und nach gegen rivalisierende Gruppen von ehemaligen Kriegsteilnehmern durch, die sich ähnlich nannten, und im August 1919 gründete Mussolini eine neue Zeitschrift Il Fascio, die den neuen Fascismo inhaltlich darzustellen begann. Es war jedoch offensichtlich, dass nirgendwo ein wirkliches Programm formuliert wurde, was für die Praxis der Organisation ohnehin völlig bedeutungslos war. Man setzte sich mal für die eine, mal für die andere Forderung ein und Mussolini vermied es in dieser frühen Phase geschickt, die Fasci di combattimento einem der existierenden politischen Lager zuzuordnen. Faschisten seien: „nicht republikanisch, nicht sozialistisch, nicht demokratisch, nicht konservativ, nicht nationalistisch“. Wahlerfolge blieben jedoch zunächst aus.

Ab Herbst 1920 erklärte Mussolini sich deutlich anti-sozialistisch und bekam massiv mehr Anhänger. Seine „Strafexpeditionen“ gegen rivalisierende Gruppen wurden von den Behörden meist gedeckt. Im ganzen Land bildeten sich neue Fasci, denen im November 1921 in Gestalt des Partito Nazionale Fascista (PNF) ein parlamentarischer Anstrich gegeben wurde. Am 31.10.1922 gab der König Victor Emmanuel III. den Unruhen nach und vereidigte Mussolini als Ministerpräsidenten, obwohl dieser keine Mehrheit im Parlament hatte. Sein erstes Kabinett war eine Rechtskoalition. Er forderte jedoch umgehend Vollmachten, um durch Verordnungen regieren zu können und drohte mit seinen Kampfgruppen (Squadri). Er setzte sich durch und bekam, was er wollte.

Damit war der Faschismus offiziell etabliert. Interessanterweise wurde am 30.12.1922 nach mehrjährigem Bürgerkrieg formell auch die Sowjetunion ausgerufen.

Gemäß den sozialistischen Lehren, die viele Jahrzehnte lang in Teilen der Welt ungefragt galten, war ein Faschist jeder, der zwei Grundbedingungen erfüllt:

Der Faschist war erstens gegen die Weltherrschaft des Kommunismus und gegen diesen überhaupt, sowie zweitens jemand, welcher der Vorstellung von souveränen Nationalstaaten anhing, die als bürgerlich und reaktionär abgelehnt wurden.

Es liegt auf der Hand, dass diese Kopplung seinerzeit notwendig war, denn die kommunistische Weltdiktatur des Proletariats verlangte zwangsläufig den sozialistischen Internationalismus in der Überwindung eben jener bourgeoisen Nationen, die zudem in dieser Überzeugung die alleinige Verantwortung dafür tragen, dass es regelmäßig zu kriegerischen Auseinandersetzungen kommt, welche erfahrungsgemäß nur zwischen Nationalstaaten stattfinden können.

Der ukrainische Nationalismus ist Faschismus

Putin und die russische Führung scheinen zutiefst davon überzeugt, in der Ukraine tatsächlich mit Unmengen jener Faschisten zu tun zu haben. Schließlich verstößt allein schon die Vorstellung von einem ukrainischen Volk, das sich selbst eigenverantwortlich in einem Nationalstaat organisiert, nicht nur gegen die großrussische Nationalphantasie, sondern per se gegen die alte sozialistische Internationalismus-Doktrin.

Die damalige sozialistische Erziehung wurde davon geprägt, dass das damalige sowjetische Russland kein Nationalstaat wie jeder andere war, sondern die erste Phase eines neuen weltumspannenden Internationalismus war.

Sowohl Sozialismus als auch Demokratie haben sich in Putins Vorstellungen jedoch überlebt.

Ohne Namen zu nennen, nannte Putin die demokratisch gewählte Führung der Ukraine eine „Bande von Rauschgiftsüchtigen und Neonazis“.

Ja – er wird seine Gründe dafür haben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert