Ein dauerhafter Friede im Nahen Osten ist schon lange ein Wunschtraum. Politiker, Journalisten, Historiker sind hilflos. Wie kann das Ziel erreicht werden? Noch mehr Waffen? – Wohl kaum. Aber immer mehr Waffen kommen zum Einsatz.
Was ist geschehen?
Kämpfer der Organisation Hamas griffen am 7. Oktober 2023 überraschend Menschen und Einrichtungen in Israel an. Dabei wurden nach Angaben israelischer Stellen mehr als 1400 Menschen an verschiedenen Orten getötet. Weiter wurden mehr als 220 Menschen entführt und werden als Geiseln gefangen gehalten. Die meisten Betroffenen sind keine Angehörigen der israelischen Armee, also Zivilpersonen. Das ist eine gewaltige Anzahl von Opfern an nur einem Tag!
Die Hamas habe sich für den Angriff einen Tag ausgewählt, an dem Juden das Ende des Laubhüttenfestes feiern. Nach dem Überraschungsangriff hatte es massive Kritik daran gegeben, dass das Militär und der Geheimdienst als Frühwarnsystem ausgefallen waren. Weltweit wunderten sich Sicherheitsexperten, dass ausgerechnet Israels legendärer Mossad, der sich in der Vergangenheit mit spektakulären Aktionen hervorgetan hatte, diesmal so fundamental versagt hatte. Dessen Ex-Chef Efraim Halevy jedoch hält sich mit Schuldzuweisungen zurück. Nur so viel: „Das Versagen der Geheimdienste wird nach dem Ende des Kriegs abgeklärt werden müssen.“ Einige Tage zuvor waren Militäreinheiten aus der Gegend um Gaza in die Westbank verlegt worden, weil es dort auch ständig „unruhig“ ist, ohne für Ersatz zu sorgen. Die Westbank ist keinesfalls von der Hamas kontrolliert. Hier gibt es nach wie vor den „Palästinenserpräsidenten“ Mahmud Abbas, der aber laut Halevy „offensichtlich ein sehr müder Mann“ sei, er habe große Probleme, die Region zu kontrollieren. Halevy nimmt an, dass sich die Unruhe in der Westbank nach dem erneuten Gazakrieg zuspitzt.
Israel habe sich vor allem deshalb in Sicherheit gewähnt, weil es der palästinensischen Bevölkerung in den vergangenen Monaten wirtschaftlich immer besser gegangen sei. Täglich seien Menschen aus dem Gazastreifen nach Israel gekommen, „viele hatten gute Jobs, profitierten vom israelischen Gesundheitswesen. Wir hatten den Eindruck, dass die Hamas eine Koexistenz mit uns anstrebte“, meint Halevy. „Dass das gar nicht in ihrem Sinn lag, haben sie sehr gut versteckt.“
Die Hamas wird wesentlich vom Iran unterstützt, trotz aller religiösen Differenzen zwischen den sunnitischen Hamas und den schiitischen Iranern. Das ebenfalls sunnitische Saudi Arabien dagegen versucht, eher mäßigenden Einfluss auszuüben. Saudi Arabien ist alles andere als erfreut, dass der Iran eine Führungsrolle in der muslimischen Welt beansprucht. Der Iran unterstützt im Libanon mit den Hisbollah, die sogar schiitisch ist, weitere „Stellvertreter“. Ob diese ihre Unruhen verstärken werden, ist offen. Denn meistens entstehen dadurch Materialverluste, die der Iran dann wieder ausgleichen muss. Überhaupt ist es sehr fraglich, wie der Iran zur aktuellen Situation steht, denn der 84-jährige Revolutionsführer Ali Chamenei gilt als „sehr krank“, es hätten bereits intensive Diskussionen über seine Nachfolge begonnen. Deshalb liege ein neuer Krieg um Gaza wenig in Teherans Interesse. Was also hat die Hamas bewogen, zu handeln?
Wer ist Hamas?
Hamas heißt auf arabisch Eifer, Kampfgeist oder Begeisterung. Die Bewegung entstand 1987 aus Angehörigen des sunnitischen Islam. Sie hat drei Zweige: eine politische Partei, die bei Wahlen antritt, eine mit Waffen ausgestattete Gruppe von kämpfenden Mitgliedern und ein Hilfswerk, um Hinterbliebene von getöteten Mitgliedern zu unterstützen und um sonstige Notlagen zu mildern. Sie hat sich 1988 eine Charta gegeben, in der sie den Staat Israel mit militärischen Mitteln beseitigen und einen eigenen Nationalstaat errichten will. Als Territorium soll dieser das gesamte ehemalige britische Mandatsgebiet Palästina (ohne Jordanien) besitzen, also wesentlich mehr als nur Gaza und die Westbank. Hier der Originaltext. Die Charta wurde 2017 durch ein weiteres Grundsatzpapier ergänzt.
Die Charta hat durchaus die Vision, dass die Anhänger aller Religionen friedlich in Palästina zusammenleben sollen, allerdings unter dem Banner und Schutz des Islam, wobei offen bleibt, was auch immer das in der Praxis bedeuten möge. Hamas Funktionäre haben teilweise geäußert: „Wir hegen keine feindlichen Gefühle gegen Juden. Wir wollen sie nicht ins Meer drängen. Alles was wir wollen, ist unser Land zurück und nicht jemandem schaden.“ Es gibt jedoch auch andere Äußerungen, die wesentlich weitergehender sind.
Die Kämpfer der Hamas sind in vielfältigen Formen im Untergrund aktiv und auch außerhalb des israelischen Gebiets aktiv. Sie wollen auf die internationale Politik einwirken, sofern diese Israel unterstützt, und setzen dazu auch gewaltsame bewaffnete Anschläge auf zivile Ziele ein, auch in Form von Selbstmordattentaten. Die davon betroffenen Staaten stufen die Hamas daher überwiegend juristisch als Terrororganisation ein, während andere Staaten sie noch als Widerstandsorganisation oder Befreiungsgruppe gelten lassen. In der politischen Rhetorik hat das meist die Auswirkung, dass man den letzteren durchaus einräumt, dass sie um ihr Land kämpfen und ihr Volk schützen wollen. Ihren Mitgliedern kann man also durchaus auch Gastfreundschaft gewähren und sie mit Hilfslieferungen unterstützen.
Kurze Geschichte Israels
Den modernen unabhängigen Staat Israel gibt es seit 1948. An seiner Gründung hatte Deutschland keinen direkten Anteil, denn es verfügte nach dem zweiten Weltkrieg über keinerlei Diplomatie. Aber weil Deutschland ein Drittel der jüdischen Weltbevölkerung auf dem Gewissen hatte und „die Welt“ dieses nicht hatte verhindern können, wollte man den überlebenden Juden eine gewisse Form der Wiedergutmachung nicht mehr vorenthalten. Die Gründung fand auch nicht friedlich am Konferenztisch statt, sondern einseitig durch Israel (Ben Gurion), nachdem Großbritannien sein Mandat für beendet erklärt hatte. Der neue Staat wurde jedoch sofort von den USA, der UdSSR und anderen anerkannt. Jedoch kam es postwendend zum ersten Nahostkrieg, als Ägypten, Libanon, Jordanien, Syrien und Irak einmarschierten, um die Gründung rückgängig zu machen.
Wenn jemand „Schuld“ an der verworrenen Lage ist, dann sind es die Briten, denn diese übten seit 1922 im Auftrag des damaligen Völkerbundes eine Mandatsherrschaft über Palästina aus, das westlich (Cis-Jordanien) und östlich (Trans-Jordanien) des Flusses Jordan bestand. Bis zum Ende des ersten Weltkrieges war dies Teil des Osmanischen Reiches (heute: Türkei), welches der Nachfolger der islamischen Kalifen in Bagdad bzw. ihrer ägyptischen Statthalter war.
Seit 63 v. Chr. stand das Land, das sich damals selbst Judäa nannte, abwechselnd unter römischer, byzantinischer, sassanidischer (wer war das denn?), arabischer, osmanischer (die Vorgänger der heutigen Türkei) und englischer Verwaltung bzw. Herrschaft. Und vorher? Von 165 v. Chr. war es auch unabhängig, als es sich nach dem Aufstand unter Führung der Makkabäer aus dem seleukidischen Nachfolgestaat Alexanders des Gr. lösen konnte. Die Unabhängigkeit wurde aber schon nach 100 Jahren durch den Römer Pompejus beendet.
Aber vorher, was war da? Waren da nicht die „Könige“ Saul, David, Salomo und ihre Nachfolger? Nun: ob Saul historisch überhaupt existierte, ist sehr umstritten. Archäologische Belege gibt es nicht. Auch seine „Regierungszeit“ ist völlig offen. Vierzig Jahre soll sie gedauert haben. Die jüdische Tradition weist auf etwa 1000 v. Chr. Aber ein fester „Staat“ im ägyptischen oder mesopotamischen Sinne war das nicht, geschweige dass er wirklich 12 Stämme zu einem Reich vereint hätte. Aber David und Salomo, nicht wahr, die gab es doch? Das ist alles sehr umstritten. David war vermutlich ebensowenig historisch wie der alt-britische König Artus. Wenn damals Jerusalem erobert worden sein soll, so kann es kaum mehr als 1500 Einwohner gehabt haben. Von einem „Großreich“ sprechen keinerlei Dokumente der Nachbarstaaten.
Egal ob historisch oder nicht, das Gebiet, wo es existiert haben soll, hatte den Namen Kanaan und dort gab es eine viel ältere Bevölkerung und eine Kultur, die nicht den JHWH-Glauben teilte. Selbst Salomon hat keine Bautätigkeit oder Verwaltung aufzuweisen, die seine Existenz und Bedeutung beweisen. Also Unabhängigkeit? Egal.
Was auch immer für ein Gebilde dort existierte, sein nördlicher Teil wurde um 722 v. Chr. von den Assyrern erobert und in einen Vasallenstaat umgewandelt. Jerusalem und der Süden war nicht etwa so stark, dass es widerstehen konnte; er war zu unbedeutend, um die Assyrer zu interessieren. Den zunehmend unruhiger und stärker werdenden (unabhängigen?) Nachbarn schluckten aber 587 v. Chr. die Babylonier, welche die Assyrer beerbt hatten. Nach 50jähriger babylonischer Gefangenschaft durften zwar viele Juden aus Babylon in den Süden zurück, weil die Perser es erlaubten, sie bauten zwar ihren Tempel wieder neu auf, keineswegs aber einen unabhängigen Staat.
Die Herrschaft ging von den Persern nahtlos auf Alexander und seine Nachfolger über. Die Römer und Byzantiner verwendeten den Begriff Palästina, der auf Herodot zurück geht, für ihre Provinz, weil sie eine Abneigung gegen Judäa hatten. Sowohl die Assyrer als auch die Babylonier hatten die ansässige Bevölkerung in die Fremde umgesiedelt und das Land neuen Siedlern gegeben. Eine Rückkehr der verschwundenen „elf Stämme“ der ursprünglichen „Israeliten“ in den assyrischen Norden hat es nie gegeben, nur eine Rückkehr des Stammes Juda in den Süden. Und diese wurden nach dem letzten erfolglosen Aufstand gegen die Römer und der Zerstörung Jerusalems auch noch weltweit in die sog. „Diaspora“ zerstreut. Wie sie dort kulturell überleben konnten, ist ein Wunder für sich.
Nach der islamischen Eroberung verschwand der Name Palästina, wurde aber durch die Kreuzfahrer wieder belebt, die jedoch vorwiegend vom Heiligen Land bzw. dem Königreich Jerusalem sprachen. Im 19. Jh. verwendeten europäische Historiker den Namen Palästina wieder. Um 1900 bürgerte er sich vollends ein, als die zionistische Bewegung der Juden ihn übernahm. Es hat auch niemals in der Geschichte einen unabhängigen Staat Palästina gegeben. Erst seit 1988 wurde er einseitig ausgerufen und bis 1990 von etwa 100 Staaten auch diplomatisch anerkannt, aber von vielen eben auch nicht. Als Gebiet reklamiert er zwei Teile, den westlichen Streifen am Mittelmeer um die Stadt Gaza und das sog. Westjordanland. Hier hat es viel internen Streit gegeben und es gibt keinerlei einheitliche politische Strukturen.
Auch ob es jemals ein palästinensisches „Volk“ gegeben hat, ist fraglich. Es hatte ebenfalls niemals in der Geschichte einen eigenen Staat. Dennoch gibt es einige Millionen, die sich so fühlen, hauptsächlich weil die Symbolfigur des Yassir Arafat in allen Medien ohne Unterlass bis 2004 dafür geworben hatte. Bis nach dem ersten Weltkrieg einte sie die Opposition gegen die osmanischen Fremdherrscher, danach gegen die britischen Mandatsträger, und seit 1948 gegen die zunehmenden jüdischen Einwanderer. Auch sie haben ihre hausgemachten Probleme. Als 1991 etwa Arafat den irakischen Diktator Saddam Hussein bei seinem Überfall auf Kuwait unterstützte, mussten etwa 450.000 Palästinenser Kuwait verlassen. Die gesamte arabische Welt ist sehr unentschieden in der Unterstützung der palästinensischen Ziele.
Es gibt aber auch die 9 Millionen Menschen auf dem Boden des Staates Israel, die sich nicht als Palästinenser fühlen. In Artikel 15 der UN-Menschenrechtsdeklaration steht: „Everyone has a right to a nationality“. Das ist das Problem.
Wie bringt man sie dazu, ihre gemeinsame Heimat zu lieben und friedlich zu bewohnen und ihren jeweiligen Glauben auszuüben?
Ein Staat oder zwei Staaten
Es gibt schon lange die Idee eines einheitlichen Staates mit wechselseitiger konsequenter Autonomie der beiden Nationalitäten und eigenen Verwaltungsgebieten. Dieses könnte auch ein förderativer Bundesstaat mit zwei Partnern sein. Es wurde auch vorgeschlagen, Jerusalem als drittes Gebiet wegen seiner Bedeutung als religiöses Zentrum anzusehen und eine eigene Verwaltung zu geben. Bei jeder Lösung dieser Art sind jedoch nicht die Schulen, Universitäten und Gotteshäuser das Problem, sondern ein einheitliches Rechtssystem. Das koranbasierte islamische Recht ist kaum mit dem traditionellen jüdischen Recht zu vereinbaren. Obwohl: hat es schon einmal einen ernsthaften Entwurf gegeben?
Die andere Idee ist, einfach zwei völkerrechtlich souveräne Staaten mit je eigener UN-Mitgliedschaft und natürlich vollkommen getrennten Rechtssystemen einzurichten. Sie steht jedoch vor dem großen Problem, welches Staatsgebiet man jedem der beiden neuen Staaten zuweisen soll. Gewisse Härten würden sich dabei nicht vermeiden lassen. Würden man im Westjordanland die einzelnen Siedlungen in Volksabstimmungen befragen, so würde ein Mosaik an Hoheitsgebieten entstehen und eine sehr komplizierte Grenzziehung. Und natürlich stellt sich das Problem, ob man auch Jerusalem wieder teilen soll, wie schon einmal, als Ost-Jerusalem zu Jordanien gehörte.
Pro und Kontra
Wer Israels Geschichte so distanziert und so knapp wie oben darstellt, wird – insbesondere in Deutschland – sehr schnell als antisemitisch bezeichnet. Dagegen muss ich natürlich sofort für meine Person Einspruch erheben. Mir ist Deutschlands Schuld an den 6 Millionen jüdischen Opfern während der zwölf Jahre der Hitlerdiktatur natürlich vollkommen bewusst und ich bin abgrundtief beschämt darüber. Ich schätze und bewundere die jüdische Kultur und Religion außerordentlich und respektiere sie. Alles, was ich zu geschichtlichen Zusammenhängen sage, entspricht keineswegs einer feindseligen Einstellung.
Der Komponist Georg Friedrich Händel hat ein bedeutendes Werk namens Saul komponiert, ein Oratorium. Es stellt sich konkret die Frage, ob das Werk zur Zeit aufgeführt werden sollte. Einerseits verherrlicht das Werk – für die, die es kennen – nicht den Triumph des damaligen Israel über seine Feinde, sondern handelt von dem persönlichen Konflikt zwischen Saul und dem jungen David. Andererseits hören die Zuhörer schon auch vom „auserwählten Volk“, denn es beginnt mit einem Sieg über die Philister, den Nachbarn an der Mittelmeerküste, die (zufällig) den Teil bewohnten, wo sich heute Gaza befindet. An der Universität Cambridge sollte das Oratorium aufgeführt werden, wurde aber nun kurzfristig abgesetzt. Aber Kunst ist doch „frei“, oder nicht? Hat Musik nicht eine „heilende“ Kraft? – Wenn man sie richtig versteht, wird das wohl stimmen. Wenn nicht, dann wohl nicht.
usw.
In Arbeit…