Streit um das Messbuch

In der Katholischen Kirche tobt seit über fünfzig Jahren schon ein heftigernu Streit um das richtige Messbuch. Zur Auswahl stehen zwei, die beide missale romanum heißen und beide den Römischen Ritus festlegen, zur Unterscheidung von orthodoxen, koptischen, syrischen, armenischen und anderen Riten.

Das ältere römische Messbuch stammt von 1570 und wurde von Pius V. im Auftrage des Konzils von Trient, dem sog. Tridentinum (1545 – 1562), erarbeitet und herausgegeben. Eine Messe, die mit ihm gefeiert wird, wird als Tridentinische Messe bezeichnet oder auch als Lateinische Messe, weil es das Latein als alleinige Gottestdienstsprache vorsah. Es war beileibe nicht das Endergebnis einer langen Entwicklung, sondern wurde seinerseits mehrfach ergänzt und verändert, zuletzt von Pius XII. (Karfreitag und Osternacht), sowie von Johannes XXIII. Seine Fassung von 1962 gilt als die Endfassung vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965).

Im Jahr 1969 erklärte Paul VI. ein nach den vorangegangenen Konzilsbeschlüssen erarbeitetes neues Messbuch als verbindlich. Sein Hauptmerkmal ist die Empfehlung der Landessprache im Gottesdienst. Weitere Unterschiede werden später genannt.

Wegen heftiger Proteste von traditionell gesonnenen Bischöfen, Priestern und Gläubigen bleibt jedoch die Feier der Messe nach dem Buch von 1962 auf Antrag beim Ortsbischof erlaubt. Diese als Ausnahme gedachte sog. „außerordentliche Form des römischen Ritus“ wird in mehr Gemeinden und auch von Priestergemeinschaften nachgesucht als gedacht und sie erfreut sich anhaltender Beliebtheit. Warum das so ist, darüber gibt es leider keine gesicherten Erkenntnisse, weil die Kirche empirischen Tatsachen wohl immer noch keinen sehr hohen Stellenwert gibt. Es kann jedoch vermutet werden, dass Gemeinden ihren Priestern, die ihnen eine solche Alternative erkämpft haben, große Anerkennung zollen, was auch den gegenseitigen Zusammenhalt stärkt. Jedenfalls gibt es ernst zu nehmende Stimmen, welche die lateinische Messe durchaus als Mittel zur Belebung kirchlichen Lebens empfehlen.

Um in diesem allgemeinen Dilemma eine Orientierung zugewinnen, wollen wir uns die geschichtlichen Ursprünge ansehen.

Seit alters her gilt die regelmäßige Teilnahme am sonntäglichen Gottesdienst als vordringliche Pflicht und sichtbarstes Zeichen für einen katholischen Christen. Im Gottesdienst wird gebetet, werden Texte vorgetragen, wird gesungen, wird die Lehre gedeutet, werden symbolische Handlunven vorgenommen und es gibt bestimmte Bewegungen und Gesten. Es ist klar, dass es dafür gewisse Absprachen geben muss. Daraus ergeben sich örtliche Traditionen, welche sich sogar ausbreiten können. Die sich aber auch wandeln können.

So war in den ersten Jahrhunderten nicht mehr Hebräisch, wie in der Synagoge, die Gottesdienstsprache, sondern sehr lange noch Griechisch. Erst als dessen Kenntnis im Westteil des römischen Reiches immer mehr in Vergessenheit geriet, setzte sich das Lateinische (im Westen) durch. Die römischen Bischöfe (Päpste?) um 500 sollen beklagt haben, die Briefe ihrer byzantinischen Brüder nicht beantworten zu können, weil sie niemanden mehr hätten, der noch des Griechischen mächtig wäre. Im Osten blieb alles wie gehabt. Man beachte, dass sich römische und orthodoxe Kirche noch nicht getrennt hatten und das Primat des Papsttums noch nicht akzeptiert war.

Es galt auch als selbstverständlich, dass alle Gebete laut gesprochen wurden und die Gemeinden noch sehr aktiven Anteil am Fortgang hatten. Wie lange die Gemeinde auch die Kommunion empfing und dass sogar in Brot und Wein, ist unklar. Langsam kam es auch hierbei zu Veränderungen. Zum einen nahm die Kenntnis des Latein ab. Das führte wohl dazu, dass die Gebete (des Priesters) mehr und mehr leise gesprochen wurden. Auch die immer größer werdenden romanischen und Klosterkirchen führten zu immer größeren Abständen zwischen Priester und Volk. Nach dem Vorbild der Klosterkirchen wurde der Chorraum am Altar immer mehr durch Trennwände (Lettner) vom Volk abgeschirmt. Das führte zu der Unsitte, dass der Priester nur noch die ersten Worte eines Gebets hörbar für die Umgebung sprach und der Rest in ein Murmeln überging. Böse Zungen behaupten, dass die Wandlungsworte „Dies ist mein Leib“ (Hoc est enim corpus meus) die unmittelbare Vorlage für den Ausdruck „Hokuspokus“ abgaben. Wenn das auch nicht wahr sein sollte, so ist es doch gut erfunden und weist deutlich auf einen offenbaren Misstand hin. Erwiesen ist jedenfalls, dass es serienweise Ermahnungen des höheren an den niederen Klerus gab, mehr Sorgfalt zu üben. Es schien auch immer seltener zu werden, dass die Gemeinde noch die Kommunion empfing, vor allem nicht mehr den Wein, wahrscheinlich aus Kostengründen. Auch eine Predigt war selten geworden. Statt dessen gab es umherziehende Prediger, die vor den Kirchen und auf Plätzen (durchaus eindrucksvoll) predigten, in schwierigen Zeiten leider auch oft zu Judenverfolgungen anstachelten.

Kurz vor der Reformation wurden an den großen Kirchen immer mehr Seitenkapellen angebaut und Altäre errichtet. Die Anzahl der Reliquien nahm auf abenteuerliche Weise zu. Besonders der Bischof von Mainz und der Kurfürst von Sachsen galten als die eifrigsten Sammler. Immer mehr, auch nicht-adlige, Stifter liessen für ihr Seelenheil Messen lesen. Auch in den Klöstern nahmen die Intentionen stark zu, die man bedienen musste. Somit nahm die Anzahl von Priesterweihen sehr zu. Es wurde schwierig, einen hohen Standard einzuhalten. Dafür sollte durch Verbreitung von Messbüchern Sorge getragen werden. Wandernde Mönche sorgten dafür, dass der römische Ritus immer mehr Verbreitung fand und lokale, teils sehr alte Riten, etwa im Raum der ältesten Bistümer Trier und Köln, verdrängt wurden.

Anfangs wurden Messbücher von Hand abgeschrieben und aufwändig mit Gesangsnoten und Bildern gestaltet. Solche teuren Werke konnten sich aber nur reiche Kleriker und beliebte Wallfahrtskirchen leisten. Es gab daher auch viele Auszüge. Erst mit dem Buchdruck (kurz vor 1500) wurden solche Werke wieder erschwinglicher. Allerdings fügten viele Verleger auf eigene Initiative individuelle Teile hinzu. Bei Beginn der Reformation war anscheinend jeglicher Standard verloren gegangen. Hinzu kam, dass Martin Luther und andere Reformatoren anfingen, scharfe Kritik an bestimmten Teilen der Liturgie zu üben.

Nachdem alle kaiserlichen und päpstlichen Anstrengungen, z. B. die Reichstage und das 5. Laterankonzil (1512 – 1517), sich als erfolglos herausgestellt hatten, der Reformation Einhalt zu gebieten, suchten Kaiser Karl V. und Papst Paul III. ab 1540 nach einem neuen, gemeinsamen Anlauf. Ein Konzil auf dem Boden des Reiches, aber in zumutbarer Entfernung von Rom sollte es sein. Trient, südlich der Alpen gelegen, war ein geeigneter Ort. Da erst noch ein Krieg des Kaisers mit Frankreich beendet werden musste, begann es erst im Dezember 1545, kurioserweise in der ersten Sitzungsperiode (1545 – 1547) völlig ohne deutsche Bischöfe. Der Kaiser drang auf Reformen, der Papst wollte die Reformatoren verurteilen. Schwierig.

Immerhin verpflichtete das Konzil in seinen ersten Beschlüssen Bischöfe und Priester (wieder) zur Predigt, Wanderpredigern wird der Boden entzogen, weil sie außerhalb ihres Heimatklosters die Erlaubnis des Bischofs brauchen, Bischöfe und Priester müssen da Dienst tun, wo sie Einkünfte beziehen, das Glaubenskenntnis von Nizäa und Konstantinopel wurde vorgeschrieben, gegen die Reformation und deren Schriftprinzip (sola scriptura) wird die Überlieferung gestärkt, die lateinische Vulgata wird als verbindlicher Bibeltext erklärt, obwohl Ausgaben in Landessprache zugelassen werden, an der Lehre von der Erbsünde wird fesrgehalten, die sieben Sakramente werden bestätigt und die Wiedertaufe abgelehnt. Zum Schluss vertagt man sich zur nächsten Sitzungsperiode nach Bologna (1547 – 1549).

Bologna liegt im Kirchenstaat, nicht mehr im Reich. Um den Kaiser, der zuvor den Schmalkaldischen Krieg gegen protestantische Reichsfürsten mit Erfolg abschließen konnte, nicht noch mehr  zu reizen, verfügt der Papst, dass in Bologna nur beraten, aber keine Beschlüsse gefasst werden sollen. Themen sind die Eucharistie und andere sakramentale Fragen. Neben weiteren Fragen kommen erstmals Missbräuche bei der Messfeier zur Sprache.

Zwei Jahre nach Bologna geht es 1551 – 1553 wieder in Trient weiter, mit neuem Papst Julius III. und demselben Kaiser. Jetzt waren auch Bischöfe aus Deutschland und der Schweiz anwesend und zusammen mit den Spaniern waren sie in der Mehrheit gegen die Italiener. Der Kaiser konnte trotz seiner Erfolge nicht so hart gegen die Protestanten vorgehen, wie er wollte, weil er diese beim Kampf in Ungarn gegen die Türken brauchte. Er war deshalb weiter für einen Reformkurs.

In dieser Periode kommt es u. A. zu Beschlüssen über die Eucharistie, Realpräsenz und Transsubstantiation. Protestanten haben freies Geleit und können Anträge einbringen, verlangen aber, dass der Papst die nominelle Leitung aufgibt, was abgelehnt wird, und echte theologische Auseinandersetzungen finden nicht statt. Weil das kath. Frankreich bereit war, im Reich einzufallen, um seine protestantischen Verbündeten zu entlasten, musste sich das Konzil auf unbestimmte Zeit vertagen.

Erst zehn Jahre später kommt es, nachdem noch nicht viel von den Beschlüssen umgesetzt war, zur letzten Sitzungsperiode 1562 – 1564 unter neuem Kaiser, Ferdinand I. 1558 – 1564, und neuem Papst Pius IV. 1559 – 1565. Der neue Kaiser hatte sich damit abgefunden, die Ziele seines Vaters gegen die Protestanten nicht erreichen zu können, und den Krieg gegen Frankreich endgültig eingestellt. Statt dessen suchte er mit Frankreich und Spanien zusammen, das Konzil vorteilhaft zu beenden. Das tagte auch unter Zeitdruck, weil der Papst schon als krank galt und sein Tod befürchtet wurde. Im Hintergrund stand die Befürchtung, dass die Calvinistische Reformation (Hugenotten) Frankreich übernehmen könnte. Protestantische Reichsstände verzichteten auf Beobachter.

Das Konzil erledigt ein enormes Arbeitspensum und setzt wichtige Entwicklungen in Gang. So fordert es in jedem Bistum die Einrichtung von Priesterseminaren, vornehmlich für bedürftige Bewerber zum Priesteramt, das als von Christus direkt eingesetzt bestätigt wird. Bischöfe werden endgültig zur Residenz verpflichtet, ihre Rechte bei der Errichtung neuer Pfarreien formuliert und sie zu jährlichen Visitationen verpflichtet.

In einem Dekret wird festgehalten, dass die Liturgie „frei von jedem Irrtum“ sei und allein Gott dargebracht werde, auch wenn sie zu Ehren Heiliger stattfindet. Das Handeln des Priesters stellt die Hingabe Christi selbst dar, der durch dieses größtmögliche Opfer Sühne bei Gott für die Verletzung der Ehre Gottes durch den Sündenfall erreicht. Ferner bleibt die Privatmesse weiter zulässig, wird die Volkssprache in der Messe abgelehnt und die Frage der Kommunion für Laien mit dem Kelch (Laienkelch) unentschieden dem Papst überlassen. Es wird aber darauf bestanden, dass in jedem der beiden Elemente der ganze Christus gegenwärtig ist. Auch Fragen der Ehe werden geregelt und Pfarrer zur Führung eines Tauf- und Trauregisters verpflichtet.

In einigen Punkten kommt man nicht zum Abschluss: ein neuer Index der verbotenen und gefährlichen Bücher, der Katechismus, das Messbuch und das Brevier, deren Leitlinien man dem Papst übergibt und zur Vollendung anvertraut.  Pius IV. bestätigt alle Dekrete in seiner Bulle „Benedictus Deus“ 1564 und beginnt unverzüglich mit der Umsetzung, die erst seine Nachfolger Pius V. (1565 – 1572), Gregor XIII. (1572 – 1585) und Sixtus V. (1585 – 1590) abschließen werden.

Die turbulente Geschichte des Trienter Konzils, welches ständig am Rande des Abbruchs schwebte, spiegelt die Turbulenz seiner Zeit: das Reich in Aufruhr, Frankreich vor der hugenottischen Zerreissprobe, das ehemals katholische und gelehrte England mit Heinrich VIII. und Elisabeth I. verloren und in Kollision mit Spanien, Spanien am Rande des 80jährigen Krieges mit den Niederlanden und mit der Eroberung der Neuen Welt beschäftigt, Ungarn ständig von den Osmanen angegriffen. In der Philosophie wurde die Selbstverständlichkeit, mit der alles Wissen auf Aristoteles und Platon gründete, durch die Arbeiten der Astronomen (Kopernikus 1543) immer mehr in Zweifel gezogen, wenngleich diese zunächst eher als Hirngespinste denn als Ketzereien galten.

Das Tridentinum gewann ziemlich schnell in der kirchlichen Geschichtsschreibung eine große Bedeutung, wenngleich es mit seinem riesigen Arbeitspensum vielleicht der lebende Beweis dafür ist, dass es fünfzig Jahre zu spät kam. Hätte man es etwa 1495 einberufen, hätte man die Fundamentalkritik von Savonarola, die ja nicht unbegründet war, und seine Schreckensherrschaft in Florenz, sowie auch die gesamte protestantische Reform abwenden können. Aber der fehlende päpstliche Enthusiasmus ist auch leicht nachzuvollziehen. Waren bis zum ausgehenden Mittelalter Konzililien noch relativ häufig – mindestens eines in jeder Generation – so kam dies durch das große abendländische Schisma in Rom und Avignon (1378 – 1417) zum Erliegen, weil jeder der Amtsträger wohl befürchten musste abgewählt zu werden. Das geschah dann auch prompt auf den Konzil von Konstanz (1414 – 1418). Hier und auf dem nachfolgenden Konzil von Basel (1431 – 1449) wurde die Meinung vertreten, das Konzil stehe über dem Papst. Danach benutzten die weltlichen Herrscher den Ruf nach einem neuen Konzil gern immer als Druckmittel. So auch der französische König, der 1511 nach Pavia einlud, was aber von Leo X. abgelehnt wurde, der statt dessen 1512 in den Lateran einlud. Dort wurden auch sehr intensive Reformdiskussionen geführt, aber Leo setzte nichts davon um, weil es ein halbes Jahr nach Ende Konzil zum offenen Ausbruch. (Thesenanschlag) der Reformation kam.

Viele Grüße.
Hubert Kauker

 

 

 

 

 

 

 

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