Bibelkritik ist gar nicht so einfach
Sehen wir uns einmal an, worauf die modernen Bibelübersetzungen zurückgehen.
Bereits Jahrhunderte vor Luther erschienen Übersetzungen der lateinischen Vulgata als Handschriften ins Deutsche. Diese blieben jedoch Randerscheinungen. In 1452-1455 druckte Johannes Gutenberg in Mainz die Vulgata auf Lateinisch in einer Auflage von 180 Stück. Bis 1522 gab es achtzehn weitere deutsche Bibeldrucke vornehmlich in Straßburg, Augsburg, Nürnberg, aber auch Köln, Halberstadt und Lübeck. Viele waren reine Textausgaben, manche mit Initialen verziert oder sogar illustriert. Alle waren Übersetzungen der Vulgata. Das Interesse des einfachen Klerus und des Bürgertums, die biblischen Texte verstehen zu können, war stark. Handschriften waren sehr teuer und vollständige Manuskripte selten. Kirchen besaßen für den Gebrauch im Gottesdienst meist Auswahltexte.
Die erfolgreichste Übersetzung des Neuen Testaments in die Deutsche Sprache erschien 1522 in einer Auflage von 3.000 Exemplaren auf der Leipziger Buchmesse zu einem Preis von ca. 1 Gulden, dem Monatslohn eines Handwerkers, was immer noch viel war aber hundert Mal preiswerter als eine Handschrift. Sie war in Wittenberg gedruckt und von Lucas Cranach finanziert worden, wohin Martin Luther nach seinem Aufenthalt auf der Wartburg, wo er die Übersetzung vollendet hatte, zurückgekehrt war. Das war nur fünf Jahre nach dem Anschlag seiner berühmten Thesen.
Luther unterschied sich von allen Vorläufern dadurch, dass er nicht nur die lateinische Vulgata, sondern auch die griechischen „Originale“ heranzog, für das alte Testament sogar die hebräischen. Er konnte diesen Schritt tun, weil gerade die griechische Gelehrsamkeit einen großen Sprung nach vorn gemacht hatte und Erasmus von Rotterdam gerade eine wichtige Vorarbeit abgeschlossen hatte, auf der Luther nun aufbauen konnte.
Da Luther Latein zwar fließend sprach, Griechisch jedoch nicht, hat er sehr eng mit seinem Freund und Alt-Philologen Philipp Melanchthon zusammengearbeitet, der den Lehrstuhl für Griechisch an der Universität Wittenberg innehatte.
Vorlage für Luthers Werk war die zweite Auflage von Novum Instrumentum omne (1519) des Erasmus von Rotterdam, welches dieser auf der Grundlage von sieben byzantinischen Handschriften aus dem 12ten bis 15ten Jahrhundert und einer lateinischen Vulgata des Hieronymus (384) herausgab. Die Arbeiten dazu begann Erasmus in Basel, da er diese Handschriften nicht selber besaß, sondern sie sich von der dortigen Universität, dem Dominikanerorden und Johannes Reuchlin, einem Großonkel von Melanchthon, ausleihen musste. Nach heutigen Maßstäben war das eine sehr schmale Textbasis . Die frühesten stammten aus dem 12. Jahrhundert. Nur drei von ihnen enthielten die Evangelien. Erasmus konsolidierte deren Texte, d. h. beseitigte offensichtliche Schreib- und Grammatikfehler, konnte aber natürlich nicht prüfen, ob der griechische Text auch getreue Widergabe eines Originals war. Die Ausgabe war zweisprachig: links griechisch, rechts lateinisch. Nicht der griechische Text, wie man vermuten sollte, war das Ziel von Erasmus. Dieser war nur das Mittel zum Zweck. Der lateinische Text der Vulgata war das oberste Ziel seiner Ausgabe.
Viele der heute bekannten Werke der Antike waren im Mittelalter verschollen. Sie hatten den Untergang der antiken Welt nur in vereinzelten Exemplaren überdauert und waren nur in seltenen Abschriften in Kloster- oder Dombibliotheken vorhanden. Diese Texte waren den mittelalterlichen Gelehrten vor dem Beginn der Renaissance weitgehend unbekannt. Mit der Renaissance jedoch begann die große Suche nach den Quellen. Humanistische „Handschriftenjäger“ durchsuchten die Bibliotheken mit großem Eifer und entdeckten eine Vielzahl von Werken. „Ad fontes“, hieß Ihre Devise, „zu den Quellen“. Erfolge wurden enthusiastisch bejubelt. Die Funde waren allerdings in der Regel mittelalterliche Kopien. Von den antiken Handschriften hatten nur wenige die Jahrhunderte überstanden. Der weitaus größte Teil des antiken Schrifttums, das bis heute erhalten geblieben ist, wurde durch die Abschreibtätigkeit der mittelalterlichen Mönche gerettet.
Eine große Anzahl von Handschriften sammelte sich in der damaligen Kulturmetropole Konstantinopel oder Byzanz, die jedoch während der Kreuzzüge wiederholte Plünderung der christlichen Kreuzritter über sich ergehen lassen musste. Außerdem schmolz das Gebiet des Byzantinischen Reiches unter den wiederholten Angriffen der Türken bis 1453 fast bis auf das Stadtgebiet zusammen und wurde in diesem Jahr schließlich endgültig erobert. Mit jeder Katastrophe gab es eine neue Welle von Gelehrten, welche die Stadt verließen und ihre kostbaren Handschriften mitnahmen und damit dem Wissensstreben der Renaissance dienten.
Auf dem Konzil von Trient wurden Erasmus’ Schriften 1546 von der Katholischen Kirche übrigens auf den Index gesetzt, darunter auch dessen Bibelausgabe. Ihre Verwendung und damit das Verlassen der gleichzeitig für authentisch erklärten Vulgata, konnte Grund genug sein, Übersetzungen zu verdammen.
Was tat die katholische Kirche?
Obwohl nach wie vor Bedenken bestanden, die heilige Schrift in die Sprache des Volkes zu übersetzen, bekam Johannes Eck von seinem bayerischen Herzog den Auftrag, das alte und neue Testament auf Deutsch herauszugeben. Das Werk erschien 1537 in Ingolstadt. 1534 hatte Luther ebenfalls sein altes Testament herausgebracht. Ecks Übersetzung war in einem oberdeutschen kanzleiähnlichen Stil geschrieben. Wenngleich sie mit Luthers „Bestseller“ nicht mithalten konnte, erlebte sie viele Auflagen, auch im Rheinland.
Eck arbeitete nicht mit griechischen Vorlagen, sondern allein mit der lateinischen Vulgata, wobei er auch die schon 1529 in Dresden erschienene Arbeit von Hieronymus Emser verwendete. Beide lehnten im Übrigen Luthers Neuschöpfungen ab und wollten sprachlich möglichst dicht bei ihrer Vorlage bleiben. Emsers Version war allerdings so nah an Luthers, dass Luther sogar einen Plagiatsvorwurf erhob.
Erfolgreicher als Eck war 1534 in Mainz der Dominikaner aus Frankfurt Johannes Dietenberger, der sprachlich einen größeren Raum abdeckte. Bemerkenswert ist, dass er im Titelblatt dem Leser die Auslegung etlicher „dunkler Worte“ verspricht und die Besserung vieler „verrueckter Wort und Spruech“. Eine gelungene Buchhändlerwerbung.
Das Konzil von Trient erklärte 1546 die Vulgata für verbindlich. Jedoch sahen sich folgende Päpste genötigt, eine offizielle, möglichst fehlerfreie Ausgabe anzubieten. Eine solche erschien auch 1590 und 1592 unter Sixtus V. und Clemens VIII. Ihre Basis für das Alte Testament war die griechische Septuaginta von 200 vChr, nicht die hebräischen Originale. Damit betrachtete Rom die Diskussionen um die Bibel als abgeschlossen. Der berühmteste Theologe seiner Zeit, Jesuit, Gegenspieler von Giordano Bruno und Galileo Galilei, beinahe-Papst und später Heiliger, Roberto Bellarmino, soll jedoch immer gesagt haben: „die hebräischen und griechischen Texte sind die Quelle, die Vulgata der Bach.“
Aufgrund der neuen Vulgata wurde auch eine Revision der deutschen Bibeln notwendig. Der aus Lippstadt stammende Caspar Ulenberg, zunächst protestantisch erzogen, dann konvertiert, Pfarrer an St. Kunibert und St. Columba in Köln, später Rektor der Universität, übernahm diesen Auftrag für die Dietenberger Bibel. Obwohl 1617 beendet erschien die Neuauflage erst 1630 mit vielen Stichen von Merian. Die Dietenberger-Bibel nach Ulenberg blieb bis ins späte 18. Jahrhundert die verbreitetste Bibelübersetzung in allen deutschsprachigen katholischen Regionen. Insgesamt erschienen an die 100 Auflagen, die letzte 1776 in Augsburg.
Noch in Arbeit. Wird fortgesetzt…
Vereinbarung zwischen dem Vatikan und den Internationalen Bibelgesellschaften von 1987 (PDF)
http://home.sdirekt-net.de/jschmitsdorf/download/tr_na.pdf